Für eine Wiederbelebung des demokratischen Sozialismus
„Ceterum censeo”, „im Übrigen meine ich” hat Eberhard Pausch sein Bändchen in Aufnahme einer dem Feldherren, Geschichtsschreiber, Schriftsteller und Staatsmann Cato zugeschriebenen Sentenz genannt. Während Cato sich jedoch rhetorisch höchst wirkungsvoll am Ende seiner Reden mit der unmissverständlichen Forderung begnügte, er sei im Übrigen der Ansicht, Karthago müsse zerstört werden, gibt der Theologe gleich sieben „Denkanstöße für Theologie und Kirche”, und die dienen in Umfang und Komplexität auch weniger der öffentlichen Meinungsbildung, als dass sie Diskussionsstoff für ein Fachpublikum liefern.
Für Pausch spricht, dass er nichts zerstört sehen, sondern angesichts seiner im Vorwort dargelegten Einschätzung, wir lebten „in schwierigen Zeiten”, einen konstruktiven Beitrag zur Veränderung und Verbesserung der Welt leisten will. Diese Intention hält die Texte zusammen, wenngleich das nicht immer unmittelbar ins Auge springt. Als roter Faden zieht sich aber durch die Texte das Bemühen, dem Protestantismus eine ihm gemäße gesellschaftspolitische Position zur Seite zu stellen.
Deutlich wird das insbesondere in seiner Rödelheimer Predigt über Martin Luther King Jr. aus dem Jahr 2018. Politische Hoffnung zu schöpfen, schreibt Pausch, sei nicht leicht, wenn man „sich die Machthaber dieser Welt anschaut, ob sie nun Trump oder Putin, Erdogan oder Netanjahu heißen. Das sind alles gewiss keine Friedensengel”, und „Hoffnungsträger wie Martin Luther King, wie die Kennedys, wie Olof Palme, wie Yitzchak Rabin bleiben oft als Opfer von Attentaten auf der Strecke. Aber in unseren Erinnerungen leben sie weiter. Und ihre Träume, ihre guten Träume, ihre Träume von Frieden, von Mitmenschlichkeit, von gleicher Würde aller Menschen sind unsterblich. Sie sind unsterblich, weil sie in Gottes Zusage für diese Welt wurzeln” (106f.).
In einer weiteren Predigt – gehalten am Ostersonntag 2018 in der Alten Nikolaikirche auf dem Frankfurter Römerberg – nähert sich Pausch der Auferstehung: „Das bedeutet Auferstehung: Gottes allesüberwindende Liebe, die wir durch den Menschen Jesus kennengelernt haben, ist der Sieg, ist die Revolution des Lebens. Weil es diese Liebe gibt, sind unsere Träume nicht vergeblich - trotz der Gewalt und der Gewaltigen und der Gewaltherrscher dieser Welt!” (101). Bereits in seiner Einführungspredigt hatte er 2016 in der Alten Nikolaikirche programmatisch gesagt, wir bräuchten „als lebendige Alternative zur Sprachlosigkeit und zum Hass kluge Diskurse und kreative Argumentationen. Gepflegt von Menschen, die anderen Menschen mit Toleranz und mit Freundlichkeit begegnen. Solche Menschen wollen wir sein, wir, die Mitarbeitenden der Ev. Akademie Frankfurt” (92).
Pflegt Pausch schon in seinen Predigten einen durchaus intellektuellen Ansatz, zeigt er sich in seinen Aufsätzen ganz als wissenschaftlich argumentierender theologischer Gesprächspartner. Seine politische Richtung stellt er im sechsten „Ceterum censeo” direkt zur Diskussion, wo er in scharfer Abgrenzung zum real existierenden Sozialismus Überlegungen zur Wiederbelebung des demokratischen Sozialismus anstellt, dem es – deckungsgleich mit christlichen Anliegen – darum gehe, in kollektiver Anstrengung wenigstens Leid, Ungerechtigkeit und Repression zu verringern, „die Zerstörung solidarischer Lebensformen aufzuhalten und neue Formen solidarischen Zusammenlebens zu schaffen” (77).
In seinem siebenten „Ceterum censeo” sieht Pausch geradezu die Notwendigkeit, dem Sozialismus noch einmal eine Chance zu geben, „wenn wir Welt und Menschheit vor dem Untergang infolge teilweise selbst verschuldeter Unmündigkeit bewahren wollen” (78). Entsprechend sieht er es als „eine zentrale politische Aufgabe der Gegenwart”, mit einer „denkenden, verantwortungsbereiten Elite”, zu der er auch evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer zählt, „einen neuen Anlauf zur Umgestaltung der Gesellschaft in Richtung eines demokratischen Sozialismus zu unternehmen” (86). Das dritte „Ceterum censeo” bereitet in gewisser Weise dafür den Boden, indem es die „Gewissensfreiheit als Utopie” thematisiert und angesichts einer anti-utopischen Tendenz des Protestantismus zu dem Schluss gelangt, es gebe „demokratische bzw. demokratieverträgliche Utopien”, die „eine motivierende und handlungsleitende Funktion” haben: „Sich für die Verteidigung offener Gesellschaften einzusetzen, für die Etablierung kreativer Diskursräume und für die Inklusion zuvor exkludierter Menschen in einer Gesellschaft zu sorgen, das sind Beispiele für solche Utopien. Sie alle sind mit dem christlichen Glauben vereinbar, auch in seiner evangelischen und reformatorischen Gestalt” (49).
Eher flankierende Funktion haben im Gesamtgefüge die Thesen zwei und vier. In der vierten Randbemerkung ist Pausch die Bewahrung der Demokratie ein fundamentales Anliegen. Die Akademiearbeit begegnet jedoch selbstverständlich auch dem Phänomen des Postfaktischen: Gefühle, Verschwörungstheorien und Fake News bestimmen den politischen Willen, während Vernunft und Aufklärung nicht mehr ankommen. Pausch sieht als Folge „die offenen, demokratischen Gesellschaften gefährdet” (51) und nicht zuletzt den Protestantismus bedroht, in dem Bildung und Vernunft eine wesentliche Rolle spielen. Mit vorsichtigem Optimismus lotet er die kommunikativen Chancen rationaler Beweisführung aus. Dabei setzt er auf die dem christlichen Glauben selbst innewohnende Kraft vernünftiger Argumente ebenso wie darauf, dass Gott es vermag, mit seinen schöpferischen Möglichkeiten „aus einer anderen Dimension” (55) in die Welt hineinzuwirken und mit seiner Vernunft das Postfaktische zu neutralisieren. Um Demokratie geht es auch in der zweiten These, und zwar um die in der evangelischen Kirche. Kirche sei keine Demokratie, sagt Pausch, weil das Evangelium nicht Mehrheitsentscheidungen unterworfen werden könne, sie habe aber demokratische Strukturen und stehe positiv zur Demokratie. Nur habe die Demokratie als solche keine Heilsqualität, denn sie müsse sich stets fragen lassen, inwieweit sie den Menschenrechten und der Wahrung der Menschenwürde diene.
Primär den Theologen und die Theologin spricht Pausch gleich im ersten Aufsatz an, in dem er den Begriff der „öffentlichen Theologie” problematisiert und diesen als eine „Theologie in öffentlicher Verantwortung” präzisiert sehen möchte. Da Pausch von 2012 bis 2016 für seine Landeskirche Hessen und Nassau Beauftragter für die Reformationsdekade gewesen ist, fällt dem Leser und der Leserin auch eine Frucht dieser Tätigkeit in die Hände. Er hat fünf Botschaften, die nach dem 500-Jahre-Jubiläum 2018 in Erinnerung bleiben sollten: Es lohnt sich, mutig zu sein. Die Bibel bietet auch heute Orientierung. Bildung ist eine wesentliche kirchliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Gewissen des Einzelnen ist der entscheidende Ort „ethisch-moralischer Urteilsbildung” (61). Und schließlich: Kein Mensch kann von sich aus vor Gott gerecht werden, er ist immer auf Gottes Gnade angewiesen, die aus Ungerechten Gerechte macht. Die Gnade Gottes resultiert aus seiner Liebe, und diese Liebe will im Miteinander realisiert werden.
Eberhard Pausch zeigt mit der Auswahl seiner Randbemerkungen, dass er ein Dialogpartner in den aktuellen theologischen und gesellschaftlichen Debatten ist, und gibt gewissermaßen nebenbei auch einen Einblick in die Ausrichtung der Evangelischen Akademie Frankfurt. So wünschenswert es ist, dass die „Akademie” in Sprache und Anspruch ihrem Namen gerecht wird, so einladend wäre es, den Besuchern und Besucherinnen den Dialog auch auf der Ebene zum Beispiel eines FAZ-Artikels anzubieten. Pausch hat seine Leserschaft wohl als Multiplikatoren in Kirche und Gesellschaft vor Augen, die Rettung der Demokratie wird jedoch nicht in einem intellektuellen Adlerhorst erfolgen, sondern auf der Straße, wo die Kraft der Argumente möglichst viele erreicht.
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