„Wir sollten uns in der Kirche nicht für wichtiger halten, als wir sind“
Am 13. Juni war Kirchenvorstandswahl in den meisten der 1.126 Gemeinden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Sie hat uns Pfarrmenschen, viele Gemeindesekretär:innen und Ehrenamtliche über Wochen und Monate hinweg beschäftigt.
Was da nicht alles geregelt, beantragt, gemeldet und terminiert werden musste. Schon im Frühjahr 2020 ging es los und hörte bis jetzt nicht auf: Soll es einen Benennungsausschuss geben? Wie viele Plätze soll der neue KV haben? Wird es eine echte oder eine unechte oder gar keine Bezirkswahl? Wollen wir eine Online-Wahl oder eine allgemeine Briefwahl? Soll es mehr Kandidierende als Plätze geben? Haben wir dafür auch ein Viertel plus eine:n Kandidaten/in mehr als Sitze im KV? Haben wir die Einspruchsfristen beachtet? Wurde alles ordentlich veröffentlicht und dokumentiert?
Man konnte den Eindruck bekommen, es ginge um den Bundestag. Oder die EU-Wahl. Auf jeden Fall um etwas wahnsinnig Wichtiges. Um eine Institution, die Macht und Bedeutung hat. Deren Entscheidungen großen Einfluss auf das Leben der Menschen ausüben.
Aber kleiner Realitätscheck: Viele Kirchengemeinden können von Glück sagen, wenn sie noch ausreichend Kandidierende finden. Unsere Wahlbeteiligungen sind selten über 40 Prozent, meist reißen sie nicht einmal die 20 Prozent-Marke, zumindest in der Großstadt. Kaum jemand sitzt gespannt vor dem Rechner und wartet auf das heißersehnte Ergebnis der KV-Wahl der eigenen Gemeinde.
Ich wage es kaum auszusprechen, aber: Es interessiert die wenigsten, ob Heinz, Gert oder Ulla im Kirchenvorstand sitzen. Und wenn doch, dann weil sie verwandt oder befreundet sind. Aber nicht, weil Heinz oder Ulla für besonders gute Konzepte für die Gemeindearbeit bekannt sind.
Ja, es ist gut, Wahlen abzuhalten und nicht die mit der lautesten Klappe bestimmen zu lassen. Deswegen hält jeder Verein und jeder Betriebsrat Wahlen ab. Aber braucht es deshalb eine Kirchengemeindewahlordnung mit 25 Paragraphen und jeweils fünf Artikeln plus seitenweisen Kommentaren? Nicht zu reden von all der Arbeitszeit, die Haupt- und Ehrenamtliche investieren müssen, damit die vielen Regeln eingehalten werden. Wären nicht Menschen dafür extra bezahlt worden, jederzeit alle Fragen zu beantworten – die meisten von uns wären im Paragrafen-Dschungel verloren gewesen.
Ich und viele andere in meiner Gemeinde hätten diese Zeit lieber für Anderes verwendet. Zum Beispiel dafür, den Menschen von unserem Glauben zu erzählen. Dafür, mit ihnen zu feiern, zu tanzen, zu essen. Um zu überlegen: Wie können wir für unseren Stadtteil da sein? Was brauchen die Menschen hier von uns als Kirchengemeinde? Von diesem kleinen Häuflein, das vielerorten immer kleiner wird. Aber deswegen nicht weniger zu bieten hat! Wenn wir uns nicht selbst zu Tode regulieren würden, in der irrigen Annahme, wahnsinnig gewichtig zu sein.
4 Kommentare
Pure wahrheit und Pfarrei-Wirklichkeit. Überall dasselbe. Es geht mehr ums Überleben als ums Leben des Evangeliums
Sehr gute Analyse! Und ich wünsche Heinz und Ulla, dass sie viele neue und junge Mitstreiter und Kämpferinnen finden, mit denen sie für die gemeinsame Sache einstehen können.
Mit aus der Seele geschrieben. Ich werde in unserer Dekanatssynode den Antrag einbringen, dass die Landessynode die Kirchenleitung beauftragen soll, es Kirchengemeinden zu ermöglichen, die KV-wahl in der Gemeindeversammlung durchzuführen. Lasst uns das Geld und die Energie lieber in inhaltliche Kampagnen stecken als in Formalitäten.
Der Werbeaufwand für die KV-Wahlen haben mich als langjährige ehemalige KV-lerin und Mitglieder der Synode sehr geärgert. Wie sollen z.B. Samentütchen und Paketanhänger u.ä. dazu animieren, an der Wahl teilzunehmen. Ich möchte nicht oder doch wissen, welche Kosten die Wahl 2022 verursacht hat. Und dann wird von Einsparungen in den Gemein- den geredet. Die durchschnittliche Wählerteilnahme von ca. 20 % (?) ist doch recht mager. Ch. Funk