Gott & Glauben

„Du schaffst das, du bist nicht allein!“

Ursprünglich war jeder Gruß ein Segen, sagt die Dogmatikerin Magdalene Frettlöh von der Universität Bern. Das Gegenteil davon sei allerdings nicht etwa der Fluch, sondern der Mangel.

Jonathan Stoll ist einer von 21 Pfarrerinnen und Pfarrern die sich am Projekt Mainsegen beteiligen. | Foto: Rolf Oeser
Jonathan Stoll ist einer von 21 Pfarrerinnen und Pfarrern die sich am Projekt Mainsegen beteiligen. | Foto: Rolf Oeser

„Mahlzeit!“ erschallt es unweigerlich, wenn man um die Mittagszeit auf den Fluren deutscher Büros unterwegs ist. Ein Kollege, der von dieser Sitte besonders genervt war, konterte das lange mit der trotzigen Antwort: „Gesegnete!“

Richtig so. Schließlich wünschen wir uns nicht nur irgendwas Essbares zwischen die Zähne, sondern dass das Mittagessen gut ist. Dass es schmeckt und für alle reicht. Eine gesegnete Mahlzeit eben. „Segen ist die intensivste, ja fast möchte ich sagen: leibliche, sinnliche Form der Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung“, beschreibt es Magdalene Frettlöh.

Die Dogmatikerin an der Universität Bern hat das Thema Segen zu einem ihrer theologischen Forschungsschwerpunkte gemacht. Sie sagt: „Der Segen sorgt dafür, dass wir unsere Begabungen, unser Potenzial, das, was Gott in uns hineingelegt hat, auch tatsächlich realisieren.“

Potenzial hat vieles: ein neugeborenes Baby, eine Liebesbeziehung, ein anderer Arbeitsplatz, der Einzug in ein neues Haus. Aber ob es dann auch wirklich so schön und glücklich kommt? Manchmal ist der Wurm drin, allerlei geht schief, die Hoffnungen vom Anfang zerschlagen sich. Deshalb wünschen wir uns gegenseitig eine gute Reise, gratulieren zum Geburtstag oder rufen uns mittags ein „Mahlzeit“ zu. Auch wenn das Adjektiv „gesegnete“ der Kürze halber weggelassen wird, sind das alles kleine oder große Segensmomente.

„Ursprünglich war jeder Gruß ein Segen“, erklärt Frettlöh. „Jemanden segnen heißt, ihm Aufmerksamkeit schenken, an ihr nicht vorübergehen, sie anerkennen und würdigen.“ So gesehen ist es eigentlich schade, dass das Segnen heutzutage meist an „Profis“ delegiert wird. Denn man muss dafür nicht Pfarrer oder Pfarrerin sein. Schließlich kommt der eigentliche Segen sowieso nicht von den Menschen, sondern „von oben“, wie das Sprichwort klugerweise sagt.

Das elementarste Segenswort neben dem Gruß ist laut Frettlöh ein klassischer Zuspruch von Vertrauen und Ermächtigung: „Ich traue dir das zu, du schaffst das schon.“ Eine solche Bestärkung tut in vielen alltäglichen Situationen gut. Etabliert haben sich Segensrituale aber vor allem bei wichtigen Lebensübergängen: die Taufe eines Neugeborenen, der Übergang ins Erwachsenenalter, die Eheschließung, der Tod.

Dabei werden oft Segensformeln gesprochen, die teilweise jahrtausendealt sind und somit einen Bogen spannen, der uns mit früheren Generationen verbindet. Viele evangelische Gottesdienste enden zum Beispiel mit den geradezu poetischen Formulierungen des aaronitischen Segens, der aus dem antiken Judentum stammt: „Gott segne und behüte dich, er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, er erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“

Aber man kann genauso gut eine eigene Sprache wählen. Zumal das Segnen nicht nur eine geistige, sondern manchmal auch eine materielle, ja körperliche Angelegenheit ist: Worte werden gesprochen, Hände ausgebreitet oder aufgelegt, das Gegenüber berührt oder gehalten. Hier ist jedoch besondere Sensibilität gefragt, damit keine Grenzen überschritten werden oder die Segenshandlung zudringlich oder sogar übergriffig wird.

Und was ist mit dem Gegenteil des Segens, dem Fluch? Dieser Gegenüberstellung widerspricht die Expertin Frettlöh. Das Gegenteil von Segen, so betont sie, sei nicht der Fluch, sondern der Mangel: „Segen hat immer mit Lebensfülle, mit gelingendem Leben zu tun. Mit Schalom, und Schalom heißt wörtlich übersetzt nicht nur Frieden, sondern Genüge. Dass alle genug zum Leben haben, und das heißt nicht nur Nahrung, Wohnung und Kleidung, sondern auch andere Menschen, Arbeit, Glück, Anerkennung. Wo das Lebensnotwendige abwesend ist, da fehlt Segen.“

Trotzdem wird oft das Fluchen, das anderen Böses an den Hals wünscht, dem Segen gegenübergestellt. „Die Bibel kennt den Fluch als machtvolles Wort der Ohnmächtigen“, erläutert Frettlöh. So wie in jener alttestamentlichen Geschichte von einer Frau, der ihr ganzes Geld gestohlen wird. Sie weiß nicht, wer das getan hat, und spricht über den Täter einen Fluch. „In einer Situation, in der sie den Täter nicht stellen kann, soll Gott für ihr Recht eintreten und für Gerechtigkeit sorgen“, sagt Frettlöh. Tatsächlich bewirkt der Fluch ein Geständnis, und dann schickt die Frau dem Fluch einen Segen hinterher.

Etymologisch hängt das Wort Segnen übrigens mit dem lateinischen „signare“ zusammen, also „zeichnen, auszeichnen“. Segen, so könnte man sagen, ist eine göttliche „Unterschrift“ unter alles, was existiert. Die Zusage an uns: „Ihr seid nicht allein, ihr gehört zu mir.“


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Antje Schrupp 238 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social

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