„Wer versucht, andere Religionen zu verstehen, versteht auch die eigene besser“
Zwei
Tage lang kamen in Frankfurt Delegationen aus 30 Städten zusammen, um
sich kennenzulernen und Erfahrungen zu teilen. Ilona Klemens, die in Frankfurt
lange Jahre als Pfarrerin für interreligiösen Dialog und als Geschäftsführerin
des Rats der Religionen amtierte, in dem sie heute Ehrenmitglied ist, kann den
Vorstoß nur begrüßen. Abgesehen davon, dass der Kongress eine bundesweiten
Bewegung endlich vernetzt, setze er ein wegweisendes Signal: „Er macht
deutlich, dass der Dialog zwischen Menschen verschiedenen Glaubens funktioniert
und etwas bewirkt.“ Daran zu erinnern sei gerade in Zeiten wichtig, in denen
sich die Fronten immer mehr verhärten.
Das findet auch Klaus von Stosch, der dem interreligiösen Dialog „gesellschaftspolitische Relevanz“ bescheinigt. „Da in der Gegenwart viele Problem nicht ohne die Religionen zu lösen sind, muss der Dialog vorangebracht werden“, hob der Professor für Systematische Theologie an der Universität Paderborn in seinem Impulsreferat hervor. Seit langem ist er unter dem Forschungsschwerpunkt Islam mit komparativer Theologie befasst. Die Auseinandersetzung mit anderen Glaubensvorstellungen verlange zwar „viel Kraft und Geduld“, trotzdem könne er nur jedem dazu raten – nicht zuletzt aus eigenem Interesse.
„Wer versucht, die Lehren anderer Religionen zu verstehen, wird zu einem tieferen Verständnis der eigenen gelangen“, sagt Klaus von Stosch. Die Frage, wer der Wahrheit näher ist, sei hingegen völlig sinnlos. Menschen könnten schließlich stets nur Bruchteile erkennen. „Gott ist in allen Religionen größer als das Verstehen.“ Nach der Devise „Raus aus dem Lehnstuhl der eigenen Tradition“ ermunterte er die Kongressgäste dazu, „immer wieder neue Perspektiven einzunehmen“.
Wie bereichernd Perspektivwechsel sind, führte der katholische Theologe an einem persönlichen Beispiel vor Augen: Weil er verstandesmäßig nicht nachvollziehen konnte, dass Muslime und Musliminnen während des Ramadans selbst bei größter Hitze nichts trinken, habe er versuchte, dies durch gelebte Praxis zu begreifen. Das sei zwar ziemlich hart gewesen: „Ich musste noch nie so viel Willensanstrengungen aufbringen“. Dafür habe er völlig unerwartete Einsichten gewonnen, wie etwa, welch tiefe Verbundenheit zwischen den Gläubigen entsteht. Zudem erinnerte ihn das Fastenbrechen am Abend stark an die Eucharistie. Ihm sei jetzt klar, dass es „beim Ramadan nicht um den Verzicht auf Essen und Trinken, sondern um ein intensives Gemeinschaftserlebnis geht“.
Eine „gute Lektion, andere mehr wertzuschätzen“, wie Klaus von Stosch sein Ramadan-Erlebnis nannte, dürften die rund 60 Vertreterinnen und Vertreter der bundesweiten Räte bereits erfahren haben. Das legen jedenfalls die vielen positiven Berichte von interreligiösen Begegnungen nahe. Zum Abschluss des Bundeskongresses wies der Vorsitzende des Frankfurter Rates der Religionen, Joachim Valentin, aber auch auf neue Hürden in der Verständigung hin. So erschwerten die sich verschärfende Lage in Israel den jüdisch-muslimischen Dialog, und innertürkische Konflikte machten den Austausch zwischen Gläubigen der liberalen Ahmadiyya-Gemeinden und sunnitischen Muslimen schwieriger. Auch der Blick auf Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, sei „hochambivalent geworden und von Ort zu Ort sehr unterschiedlich“.
Der Leiter des Frankfurter Hauses am Dom hält es daher für „wichtig, Kommunikationsregeln festzulegen und den Fokus auf lokale Themen zu richten“. „In den Räten der Religionen treffen sich schließlich immer Bürger einer Stadt.“ Vor diesem Hintergrund misst Joachim Valentin dem ersten Bundeskongress, den die Evangelische Kirche in Deutschland und das interreligiöse Projekt „Weißt Du, wer ich bin?“ finanziell unterstützten, umso größeren Stellenwert bei. Er habe vor Augen geführt, dass die Probleme in den Räten recht ähnlich sind, man viel voneinander lernen kann und die Initiativen vor Ort nicht alleine sind. Daher organisiere man 2019 in Hannover den nächsten Bundeskongress, er gehe davon aus, dass die Treffen zur festen Einrichtung werden.
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