Wenn der Traum vom Leben im Ausland platzt
Sich als Ausländer in Thailand strafbar zu machen, kann schnell gehen. Zum Beispiel, indem man das Visum überzieht. Dafür war ein Deutscher im Gefängnis gelandet. Ein kleiner Raum, vollgepfercht mit vielen Männern, in der Mitte ein Loch zum Wasserlassen, zweimal am Tag ein wenig Reis und Gemüse zu essen. Erst nach vier Wochen gelang ihm die Ausreise mithilfe der deutschen Botschaft in Bangkok. Sie kündigte ihn per Mail beim Kirchlichen Sozialdienst für Passagiere am Frankfurter Flughafen an.
Da saß er jetzt im Büro von Leiterin Bettina Janotta, Terminal 1, Abflughalle, gegenüber Ausgang C 8. Vor der Tür surrten die Rollkoffer über den Boden, alle ihre Besitzer hatten ein Ziel vor Augen. Der deutsche Heimkehrer drinnen dagegen wusste nicht, wohin. Seine Hoffnungen, dauerhaft in Thailand zu arbeiten, hatten sich zerschlagen. Und er hatte Hunger. Janotta erinnert sich deshalb so gut an ihn, weil an diesem Tag ein Weihnachtsstollen auf ihrem Tisch stand. „Er verdrückte ein Stück nach dem anderen“, erzählt sie. „Vor Erleichterung liefen ihm die Tränen übers Gesicht.“
Viele Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren, sind erst einmal hilflos. So ging es auch einem Mann, der in Kambodscha ein Café eröffnet hatte. Die Coronakrise vernichtete seine Existenzgrundlage. Als er nach einem schweren Autounfall am Frankfurter Flughafen ankam, trug er nur ein T-Shirt und eine kurze Hose. Im Februar. Janotta gab ihm etwas Warmes zum Anziehen und hörte ihm zu. In Zusammenarbeit mit dem Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt organisierte sie eine Unterkunft für ihn, so dass er erst einmal ein Dach über dem Kopf hatte, um sein Leben in Deutschland neu anzufangen.
„Ich könnte den ganzen Tag Geschichten von deutschen Heimkehrern und gestrandeten Passagieren erzählen“, sagt Janotta. In den Räumen des Kirchlichen Sozialdienstes können sie auftanken. Sie werden mit Kaffee und Keksen versorgt, einer Decke oder etwas zum Anziehen. Aber vor allem hört Ihnen jemand zu. Und zwar nicht irgendjemand, sondern eine ausgebildete Sozialarbeiterin, die weiß, was zu tun ist.
Nur sehr selten genügt ein Anruf bei Angehörigen, um sie zu bitten, Geld oder ein Ticket zu schicken. Meist ist es komplizierter: Reisende stehen plötzlich völlig mittellos da, haben keinen Zugriff auf ihre Dokumente, Tickets und Kontaktdaten, keinen Platz zum Schlafen, kein Geld für Essen. Reisepläne und oft auch Lebensträume zerplatzen. Sie geraten in eine psychische Krise. Oft dauert es Tage oder Wochen, bis sich eine Lösung abzeichnet. Manchmal wird es auch dramatisch: Auf der Stelle verständigen die Beraterinnen dann den Rettungsdienst oder die Notfallklinik am Flughafen.
„Nur noch kurz die Welt retten“ steht auf einem Kaffeebecher in Janottas Büro. „Das können wir hier natürlich nicht“, sagt sie und lächelt. „Aber Menschen in einer Notsituation zu unterstützen und auf einen Weg zu bringen, ist gelebte Nächstenliebe.“ Gastfreundschaft hat in der Bibel einen hohen Stellenwert und dient hier als Vorbild. Sehr anschaulich die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen: „Fremdenliebe“.
Janotta arbeitet im Team mit den Sozialarbeiterinnen Carolin Jendricke und Carla Rosenberger sowie zehn bis zwölf Ehrenamtlichen, die am Schalter in Halle C sitzen oder die hauptamtlichen Beraterinnen unterstützen. Träger des Kirchlichen Sozialdienst für Passagiere am Flughafen ist die Diakonie Frankfurt und Offenbach. Doch im Arbeitsalltag spiegelt sich das politische Weltgeschehen wider. In den letzten Jahren haben Janotta und ihr Team Geflüchtete aus Afrika, Syrien, Afghanistan und der Ukraine erlebt.
„Seit Frühjahr 2022 waren wir auf Geflüchtete aus der Ukraine eingestellt“, erzählt Janotta. „Aber trotz des anhaltenden Kriegsgeschehens kommen jetzt nur noch wenige.“ Viele hätten versucht, nach Amerika oder Kanada auszuwandern, aber inzwischen habe sich wohl herumgesprochen, dass das nicht so einfach ist. In den USA ist nur ein bestimmtes Kontingent an Geflüchteten aus der Ukraine zugelassen: Man muss sich bewerben, Anträge ausfüllen und braucht einen Sponsor im Land, der die finanzielle Verantwortung übernimmt.
Schon ein kleiner Fehler kann zu großen Komplikationen führen. Vor Kurzem rief etwa eine Airline bei Janotta an: Eine junge Ukrainerin mit zwei Kindern wurde nicht mitgenommen, weil im Antrag zur Einreise in die USA der Name eines Kindes falsch geschrieben war. Nach vielen Telefonaten mit Behörden, der Polizei und der Sponsorin in den USA war klar, dass die Weiterreise sich um Wochen verzögern würde. Mit besonderen Spendenmitteln konnte Janotta ausnahmsweise ein günstiges Hotel organisieren – die Ausreise war gerettet. Kurz vor dem Abflug nach Amerika schenkte die junge Ukrainerin Janotta ein Handtuch mit Palmen darauf. Manchmal wird mithilfe des Sozialdienstes sogar ein Traum wahr.
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