Gunter Volz: Was passieren muss, damit Frankfurt eine soziale Stadt bleibt
Herr Volz, nach der Vorstellung des ISTEK haben manche bemängelt, dass es dabei viel um den Umweltschutz geht, während die Sozialpolitik etwas zu kurz kommt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Gunter Volz: Diesen Eindruck teile ich nicht. Das Leitmotiv des ISTEK lautet ja „Frankfurt für Alle“. Damit verbindet sich doch bereits der Auftrag, Frankfurt als Stadt für alle Bevölkerungsschichten zu erhalten und auszubauen. Aus meiner Sicht bedeutet das zwingend, dass eine adäquate soziale Infrastruktur bereitgestellt werden muss, die soziale Nachteile kompensiert. Denn die Frankfurter Stadtbewohner*innen verfügen, wie das Papier feststellt, im Vergleich mit der Gesamtregion nur über ein unterdurchschnittliches Einkommen.
Das dabei wohl wichtigste Thema ist der Wohnungsbau. Vor allem die ansteigenden Mieten setzen Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen unter Druck.
Ja, Sozialpolitik heißt für eine wachsende Metropole wie Frankfurt wesentlich soziale Wohnungspolitik. In dieser Hinsicht antwortet das ISTEK mit dem „Frankfurter Entwicklungsmodell“, also einer Kombination aus sozialgerechter Bodennutzung, bezahlbarem, das heißt „sozialem“ Wohnungsbau und gemeinschaftlichen und genossenschaftlichen Wohnprojekten. Ob dieses Modell erfolgreich ist, wird sich daran entscheiden, ob es gelingt, auch bezahlbaren Wohnraum für die Mittelschicht, das heißt unter anderem für Erzieher*innen, Pfleger*innen und Polizist*innen bereit zu stellen.
Solche Maßnahmen tragen vielleicht dazu bei, dass nicht nur Reiche, sondern auch normal Verdienende neu nach Frankfurt ziehen können. Aber was ist mit den Alteingesessenen, die befürchten, durch Sanierungen und Vermarktungen lukrativer Lagen ihre Wohnungen zu verlieren?
Um der drohenden Vertreibung angestammter Mieter*innen im Zuge von Gentrifizierungsprozessen zu begegnen, setzt die Stadt im ISTEK auf Milieuschutzsatzungen und die Ausübung von Vorkaufsrechten. So soll in gefährdeten Stadtquartieren die soziale Mischung der Bevölkerung erhalten werden. Frankfurt hat bei diesem Punkt offenbar von vergleichbaren Großstädten wie zum Beispiel München gelernt. Jetzt kommt es allerdings darauf an, dass sich die Stadtregierung auf eine einheitliche Linie einigt, damit diese Maßnahmen auch konsequent angewendet werden.
Neben dem Wohnen ist auch die soziale Teilhabe ein Problem. Was nützt es, in der eigenen Wohnung bleiben zu können, wenn rundherum alteingesessene Kneipen schließen und überall Schnickschnack-Läden einziehen, in denen das Craftbeer vier Euro kostet?
Hier setzt das ISTEK auf das Frankfurter Programm der „Aktiven Nachbarschaften“. Das Ziel ist, die Stadtteile mit sozialer Infrastruktur wie Kitas, Bürgerhäusern, Krankenhäusern zu versorgen. Auch Kirchen oder andere religiöse Versammlungsräume werden in diesem Zusammenhang aufgeführt. Die soziale Infrastruktur schließt für mich ein, dass es in den Stadtteilen auch weiterhin Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs gibt. Ob Frankfurt eine soziale Stadt bleibt, wird sich wesentlich daran entscheiden, wie konsequent die Zielsetzungen des ISTEK von der Stadtregierung aufgegriffen und umgesetzt werden.
Laut Prognosen wird der Zuzug nach Frankfurt in den nächsten Jahren unvermindert anhalten. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass die Stadt nun konsequenter als bisher auf Milieuschutz achten wird, auch wenn ihr dadurch lukrative Vermarktungsmöglichkeiten entgehen?
Ich glaube nicht, dass die Stadt, sondern in erster Linie Immobilienunternehmen die Profiteure der Vermarktung wären. Im Blick auf die Erhaltung des sozialen Friedens und einer guten Mischung der Stadtbevölkerung wird es sich für die Stadt langfristig auszahlen, ihre Steuerungsfunktion wahrzunehmen und dazu alle rechtlichen Instrumente auszuschöpfen.
Was kann die Kirche tun, um den Prozess zu unterstützen?
Die Kirchen können sich bewusst in die Entwicklung von Quartieren einbringen und mit ihrer Arbeit einen Beitrag zu einem funktionierenden und sozial orientierten Gemeinwesen leisten. Wo es Fehlentwicklungen, Missstände oder neue Bedarfe gibt, sollen sie dies öffentlich ansprechen und den Finger in die Wunde legen: So wie dies die Sozialpolitische Initiative (SPO) Frankfurt, der Zusammenschluss der Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen immer wieder tut. Außerdem sollten sich die Kirchen noch bewusster mit ihrer Rolle als Grundstücks- und Immobilienbesitzer beschäftigen und der damit verbundenen Verantwortung für die Stadt klar werden. Darin liegt auch eine Chance für ihre Glaubwürdigkeit!
Was kann und sollte die Bevölkerung tun?
Die Stadt hat in der Vergangenheit immer von der Zuwanderung profitiert. Die Bevölkerung sollte deshalb das Wachstum der Stadt nicht als Bedrohung, sondern als Chance sehen. Abschottung und Rückzug wäre das falsche Signal! Als Bewohner*innen einer (welt-)offenen Stadt steht es uns allen gut an, den Neubürger*innen mit offenem Herzen, Hilfsbereitschaft und Toleranz zu begegnen.
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