Studentische Poliklinik: Ohne Krankenversicherung zu ärztlicher Hilfe
Das Frankfurter Gesundheitsamt in der Innenstadt wirkt an diesem späten Nachmittag verweist. Der Pförtner am Eingang erklärt langsam und verständlich, wo die Sprechstunde der „StuPoli“, der Studentischen Poliklinik an diesem Dienstag stattfindet. Im zweiten Stock sitzen zwei Patienten im Wartebereich. Ein großer Aufsteller weist den Weg zu den Behandlungszimmern. Petra Sporerova ist heute die „CM“, die „Clinical Managerin“. Die 26 Jahre alte Medizinstudentin ist viermal im Monat bei der StuPoli im Einsatz und kann sich mit der Hiwi-Stelle der Universitätsklinik der Goethe-Universität ein bisschen was dazuverdienen. Ihr Empfangs-Job und ihre Erfahrungen damit sind wichtig. Sie ist die erste Ansprechperson für alle, die in der StuPoli medizinische Hilfe suchen. Hilfe, die den Menschen bei den niedergelassenen Ärzten in der Regel verweigert wird, weil sie nicht krankenversichert sind.
Die studentische Poliklinik (StuPoli) der Goethe-Universität bietet zweimal in der Woche eine kostenlose und anonyme offene Sprechstunde im Frankfurter Gesundheitsamt an, zu der in der Regel etwa zehn Personen kommen. In den beiden Behandlungszimmern bereiten sich ein „Senior“ und ein „Junior“ auf die Patienten vor. „Juniors“ sind im fünften und sechsten, „Seniors“ ab dem siebten und in höheren Semestern ihres Medizinstudiums. Die langjährige Ärztin Petra Tiarks-Jungk wechselt während der Sprechstunde zwischen beiden Zimmern und unterstützt die Studierenden. Sie selbst hat mehr als 20 Jahre bei der humanitären Sprechstunde des Gesundheitsamts gearbeitet und betreut die StuPoli seit ihren Anfängen im Jahr 2014.
Seit 2023 ist Tiarks-Jungk in Rente, bei der StuPoli arbeitet sie in Form eines Lehrauftrags aber weiterhin jeden Dienstag. Wichtig ist Tiarks-Jungk zu erwähnen, dass die Menschen, die in die kostenlose Sprechstunde der StuPoli kommen „keine Versuchskaninchen“ sind. Die Studierenden, die hier mitarbeiten wollten, absolvierten zuerst ein zweisemestriges Wahlpflichtfach und müssten eine Prüfung ablegen. Die Behandlung übernähmen sie ausschließlich unter ärztlicher Supervision, betont Tiarks-Jungk.
Im Behandlungszimmer ist der „Senior“ Leon Lück mit zwei Kommilitoninnen, zwei „Juniors“ mit dem Ultraschallgerät beschäftigt. Die Patientin klagt über Magen- und Rückenschmerzen. Sie spricht spanisch und Lück kann sich gut mit ihr verständigen. Die angehenden Mediziner:innen beraten, welches Medikament der großgewachsenen Frau Linderung verschaffen könnte. Tiarks-Jungk kommt dazu und rät von dem Wirkstoff „Ibuprofen“ ab. „Das belastet den Magen zusätzlich“ weiß die erfahrene Ärztin. Sie alle einigen sich auf ein anderes schmerzlinderndes Medikament.
Woher die Menschen ohne Krankenversicherung von dem Angebot der StuPoli wissen, kann hier niemand so genau sagen. „Vermutlich über Mundpropaganda in den einzelnen Communities“ überlegt die „Clinical-Managerin“ Sporerova. Aber auch die Elisabeth-Straßenambulanz der Caritas schicke viele für eine Untersuchung. Es komme sogar sehr häufig vor, dass Menschen von anderen Hilfsstellen an die StuPoli verwiesen werden, erklärt Lück, der „Senior“-Behandler.
In Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt mehr als 60.000 Menschen ohne Krankenversicherung, obwohl es seit 2009 eine Versicherungspflicht gibt. Und die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Leiharbeitsfirmen bieten ihren Mitarbeitenden aus dem EU-Ausland keine versicherungspflichtigen Jobs an. Menschen, die in Obdachlosigkeit und ohne Postadresse leben und keine Anbindung an das Jobcenter oder an das Sozialamt haben. Ehemalige Selbstständige, die durch eine Privatinsolvenz auch mit ihren Krankenversicherungsbeiträgen verschuldet sind. Menschen, die illegal in Deutschland leben und damit nicht an das Versicherungsnetz angebunden sind.
Für sie alle bleiben nur Hilfsorganisationen wie die Frankfurter StuPoli, die eine kostenlose medizinische Versorgung anbietet. Finanziert wird das Projekt über die Medizinische Fakultät des Universitätsklinikums. Die Räumlichkeiten und die komplette medizinische Infrastruktur stellt das Frankfurter Gesundheitsamt. Medikamente werden nur über eine kooperierende Apotheke auf der Zeil herausgegeben.
Ein Patient der StuPoli erhält heute die Diagnose „HIV-positiv“. Kein einfaches Gespräch, zumal es nicht in der Muttersprache des Mannes stattfindet. „Das ist für viele Studierende eine harte Prüfung“ weiß die Ärztin Tiarks-Jungk. Solche Botschaften überbringe niemand gerne. Es gehöre aber zum Job und diese Erfahrungen in der Sprechstunde der StuPoli seien wichtige für den späteren Berufsalltag.
Am Abend, nach der Sprechstunde, kommen die Ärztin und die Studierenden zu einer Nachbesprechung zusammen. Was lief gut, was könnte besser werden. Alle Fälle dieses Nachmittags werden nochmal durchlaufen. Am Ende war es für das Team anstrengend. „Trotzdem“ schließt Leon Lück „machen wir hier einen wichtigen Job, der uns alle erfüllt.“
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