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Pfarrerin Ute Pietsch sagt zum Abschied: „Das Normale ist ein Schatz“

Von Propst Oliver Albrecht wird die Pfarrerin der Seckbacher Mariengemeinde in den Ruhestand verabschiedet. Über den Stadtteil, die Entwicklung der Gemeinde und ihre Zukunftspläne äußert sich die Theologin auf der Schwelle zum Ruhestand.

Pfarrerin Ute Pietsch vor der Marienkirche  |  Foto: Anne Lemhöfer
Pfarrerin Ute Pietsch vor der Marienkirche | Foto: Anne Lemhöfer

„Es passt, dass mein Abschied in die Zeit um Erntedank fällt“, sagt Ute Pietsch. „Denn ich bin wirklich dankbar für die Zeit, die ich hier hatte.“ Die Pfarrerin sitzt im hellen Gartensaal der Seckbacher Mariengemeinde, den sie vor 16 Jahren mitgeplant hat. Modern wirkt er in seiner Bauweise aus Holz, Glas und Beton, sowohl offen als auch heimelig. Das passt gut zum Geist der Gemeinde im Frankfurter Osten, der Gartensaal passt überhaupt gut nach Seckbach.

Den Stadtteil kennzeichnet zum einen eine gewisse Übersichtlichkeit: Beherbergt ist er zwischen den grünen Stadt-Oasen Huthpark und Lohrberg, durchzogen von der verkehrsreichen Wilhelmshöher Straße, an der eine katholische und eine evangelische Kirche liegen, wobei die evangelische Marienkirche besonders gut sichtbar zwischen den Häusern emporragt. Ein bisschen wie auf einer Postkarte. Das ist aber nur das eine Seckbach – zum Stadtteil gehören auch die Hochhaussiedlung Atzelberg, zwei Seniorenheime, die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik, ein Übergangswohnheim für Menschen in Not und ein großes Industriegebiet. Vielfältiger geht es kaum. Persönliche Verbindungen und viel Gemeinschaft prägen dennoch die Mariengemeinde, das hat Pfarrerin Ute Pietsch ein Vierteljahrhundert lang erlebt. Der Zusammenhalt ist in Seckbach da, auch über soziale Unterschiede hinweg. Kinder werden zusammen in Kita, Grundschule, Sportverein und Jugendgruppen der Gemeinde groß. „Frau Pietsch“ kennen die meisten Kinder in Seckbach – von den Bibelentdeckerstunden im Kindergarten, aus dem Kindergottesdienst (mit Kirchenmaus und Kirchenrabe) oder einfach, weil die Pfarrerin so viel mit dem Fahrrad im Stadtteil unterwegs ist und natürlich auch an den Demonstrationen zur Verkehrsberuhigung der Wilhelmshöher teilnimmt. „Manche Kinder glauben sogar, dass ich in der Kirche wohne“, sagt die 65-Jährige und lacht. „Seckbach ist während meiner Amtszeit immer beliebter bei jungen Familien geworden, das hat der Gemeinde eine große Lebendigkeit gegeben.“

So sehr Ute Pietsch diese Nähe und die intensiven Beziehungen immer geschätzt hat, so wichtig ist ihr noch etwas anderes: die Weite. „Die Weite der Natur in der Stadt, den weiten Blick, das finde ich auf meinen Spaziergängen über den Lohrberg oder durch den Huthpark“, sagt Pietsch. Wobei Weite für sie auch immer die geistige Weite gewesen ist. Die große ökumenische Nähe zwischen der katholische Gemeinde Maria Rosenkranz und der evangelischen Mariengemeinde weitet den theologischen Blick, was in Seckbach normal ist. „Schon als ich kam hieß es, die Pfade zwischen Katholik:innen und Protestant:innen sind sehr ausgetreten“, erinnert sich Ute Pietsch. Die Partnerschaft mit der presbyterianischen Kirche von Ghana gehört auch zu diesem weiten Blick, raus in die Welt, genauso wie der Eine-Welt-Laden. „Außerdem sind wir Mitglied im Netzwerk ‚Faire Gemeinde’“, sagt Ute Pietsch. „Das liegt mir sehr am Herzen.“ Das ökumenische Siegel „Faire Gemeinde“ ist eine Auszeichnung für Kirchengemeinden, Einrichtungen und Werke, die sich durch Handeln und Öffentlichkeitsarbeit für Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit einsetzen.

Raus in die Welt: Das war Pietsch schon als Kind wichtig. Mit den christlichen Pfadfinderinnen hat die gebürtige Berlinerin sich Wälder, Berge und Wanderpfade erschlossen – und Freundschaften gefunden, die bis heute halten. Gemeinschaft und Weite, auch hier fand sie beides. „Ich habe meinen 40. Geburtstag in Seckbach gefeiert, da war ich ganz neu“, erinnert sie sich. Im Jahr 1996 war das. Ihr Vikariat hatte sie zuvor in der Wicherngemeinde in Frankfurt-Praunheim absolviert. Ihr Berufsleben hatte allerdings ganz anders begonnen, nicht in einem Kirchenraum, sondern in einer Physiotherapiepraxis. Ute Pietsch ist ausgebildete Physiotherapeutin. Als sie begann, zunächst in Teilzeit Theologie zu studieren, wunderten sich manche Kommiliton:innen über die Studentin, die hochgeistige Themen oft in Sportklamotten diskutierte, weil sie so schnell zwischen Praxis und Hörsaal hin- und hereilen musste. Für Ute Pietsch ist das keineswegs ein Widerspruch. „Das Spirituelle und das Körperliche gehören doch unmittelbar zusammen.“

Dankbar erinnert sie sich an den Umbau von Kirche, Kita und Gemeinde-Areal. Mehr Licht, mehr Offenheit, mehr Weite: „Es war wirklich ein Geschenk, bei so einem großen Projekt dabei zu sein und aktiv die Räume zu gestalten, in denen ich gearbeitet und gepredigt habe. Die gewöhnlichen Sonntagsgottesdienste in Seckbach sind ohnehin etwas Besonderes, denn jedes Mal wird das Abendmahl gefeiert. Diese Tradition hatte im Zweiten Weltkrieg der Gemeindepfarrer und spätere Propst Karl Goebels, der in den Bekennenden Kirche aktiv war, eingeführt; alle seine Nachfolger:innen sind dabei geblieben. „Das Normale ist ein Schatz“, sagt Ute Pietsch. Sehr gerne feiere sie Open-Air-Gottesdienst und habe in der Pandemie mit vielen unterschiedlichen Formen der Zusammenkunft experimentiert. Aber gerade die Monate der Lockdowns und Kontaktbeschränkungen hätten ihr gezeigt, wie wertvoll das ganz alltägliche Gemeindeleben sei. „Auch im Normalen lässt sich Kostbares entdecken. Es muss nicht immer ein Event sein.“

Und wie geht es weiter? „Ich habe viele Pläne“, sagt Pietsch. Wandern wolle sie, viel reisen, und Zeit mit Freundinnen, Freunden und der Familie verbringen. Ihr Blick wird sich wieder weiten. Es sind nicht zuletzt die drohende Klimakatastrophe und die Zukunft des Planeten, die sie umtreiben. Sie hat bereits als Pfarrerin Kontakt zu Christians4Future, einem Teil der Fridays4Future-Bewegung aufgenommen: „Die Bewahrung der Schöpfung war mir immer ein großes Anliegen.“


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Anne Lemhöfer 145 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de