Weihnachtsengel und Nussknacker für die ganze Welt
Wäre der Laden mit den
Glastischen und -regalen nicht so luftig eingerichtet, so hell erleuchtet, man
dächte noch mitten im Sommer an dunkle Tannen, lange Winterabende und Eisblumen
am Fenster. Hunderte treuherzige Gesichter von Weihnachtsengeln, Räuchermännern
und zarten Krippenfiguren scheinen hier das ganze Jahr über auf die Adventszeit
zu warten. Dabei werden sie auch im März, Mai und August begehrt.
Seit elf Jahren verkauft Ulrike Bender ihre Lieblinge in alle Welt. Einen Laden führt sie in der Töngesgasse, doch das Hauptgeschäft liegt in der Braubachstraße. Ein altes Haus im Schatten des Römers, die Paulskirche in Rufentfernung.
„Hochsaison? Eigentlich immer“, erzählt die blonde Frau. Ganzjährig strömen Kunden und Kundinnen aus Nord- und Südamerika, aus Australien und Asien in ihren Laden. „Die Touristen lieben Frankfurt als weltoffene, freundliche Stadt, verlieben sich bei uns in die kleinen, feinen Gesichter, die hochwertige Handarbeit, das Holz als wertiges Material.“ Und sind dann auch bereit, die doch recht hohen Preise zu zahlen. „In China ist eine Kuckucksuhr inzwischen ein Statussymbol“, hat Ulrike Bender gelernt.
Man spricht Englisch, Russisch und Chinesisch
Überhaupt lernt die Geschäftsfrau jeden Tag etwas dazu, auch von ihren polnischen, ukrainischen oder chinesischen Angestellten. Um möglichst vielen potenziellen Käuferinnen und Käufern gerecht zu werden, setzt sie auf intensive Beratung auf Englisch, Russisch oder Chinesisch, versteht ihre Tätigkeit auch als interkulturellen Austausch – für alle Beteiligten. Südamerikaner seien oft sehr emotional, Japanerinnen sehr distanziert, Chinesen schätzten die Nähe und wollten auch mal hinter dem Kassentresen beim Einpacken helfen.
Es ist offensichtlich, dass Bender ihre Arbeit mit den vielen verschiedenen Menschen und Kulturen liebt. „Anhand unserer Produkte springt da ein Funke über, der verbindet“, ist sie überzeugt. Ihr Maßstab: hochwertige Materialien, Handarbeit, eine individuelle Ästhetik. Vorsichtig hat sie auch romantische Engelsfiguren aus England, russische Matrjoschkas oder italienische Schmuckdosen mit Holz-Intarsien ins Programm genommen. Doch ihr Kerngeschäft bleiben die deutschen Volkskunsthersteller. Neben ganzen Miniaturdörfern mit schwarzgewandeten Kurrendesängern, pausbäckigen Blumenkindern und Weihnachtsengeln, bärbeißigen Räuchermännern und zarten Weihnachtspyramiden sind das auch verschnörkelte Bierseidel mit Zinndeckel und zahllose, imposante Kuckucksuhren.
Regelmäßig besucht Ulrike Bender ihre Produzenten im Schwarzwald oder im Erzgebirge. Zu allen kann sie eine Geschichte erzählen. Liebevoll fährt sie mit den Fingern über die winzigen Figuren auf den Kuckucksuhren der Firma Hönes: „Das ist ein Familienbetrieb in der vierten Generation“, erzählt sie. „Da ist jede Figur einzeln gefräst und nochmals geschliffen, das gibt diese ganz weiche Oberfläche.“ Keine Leimspuren, keine Schrauben sind zu sehen, jedes Gesicht, jede noch so kleine Balkonblume ist handbemalt. Und jede Uhr ein Unikat.
Jede Kukucksuhr ein Unikat
Auch die erzgebirgischen Handwerker, deren Produkte ihre Regale bevölkern, kennt sie zum Teil schon seit Jahrzehnten: „Schon meine Mutter hatte Weihnachtsmarktstände, sie betreute nach der Wende viele der Hersteller persönlich“, erinnert sie sich. „Das war eine spannende Zeit für uns alle.“
Noch heute fährt Ulrike Bender in die kleinen Dörfer an der tschechischen Grenze, bestellt direkt bei den Herstellern, nicht bei den großen Kooperativen. „Ich will dieses Handwerk auch unterstützen“, sagt sie mit Nachdruck. „Das ist ein harter Job. Überall Holzstaub, der Lärm der Maschinen, die Leimdämpfe. Und alles Handarbeit.“ Auch Ersatzteile und Reparaturen werden auf diese Weise möglich gemacht. Gleichzeitig muss Bender weit voraus kalkulieren und bestellen: „Handarbeit braucht Zeit, viele kleine Betriebe sind nicht in der Lage, spontan nachzuliefern.“
Und das Geschäft, das auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet ist, brummt. Selten herrscht selten Ruhe zwischen den Regalen. Die Chefin persönlich kümmert um Bestellung und Versand, Abrechnung und Herstellerpflege, steht aber auch immer wieder selbst im Laden. Beobachtet sorgfältig, wo Erklärungsbedarf, wo echtes Interesse, wo Zurückhaltung besteht.
Figuren-Schnitzen als Winterbeschäftigung
„Die erzgebirgischen Nussknacker sind entstanden, weil die Zimmerleute im Winter nicht genug zu tun hatten und die dunkle Jahreszeit mit dem Schnitzen von Spielzeug auffüllten“, erzählt sie dann. Und: Mit den schneidigen Uniformen der hölzernen Männerfiguren habe man sich über die Obrigkeiten lustig machen wollen. Oder auch: Räucher-Frauen unter den Räuchermännchen seien traditionell rar, weil Frauen vor zweihundert Jahren nicht rauchen durften. Da war wohl damals schon in Sachsen manch harte Nuss zu knacken...
Neben den finster drein blickenden Nussknackern in Polizei-, Förster oder Soldaten-Uniform stehen inzwischen auch modernere Modelle, thront neben dem berühmten Seiffener Nussknacker-„König“ auch ein glitzernder Mäusekönig oder ein dicker Golfspieler mit Karo-Mütze. Der Nussknacker ist im wahrsten Sinne des Wortes das Aushängeschild des Geschäfts, oft bringen ausländischen Kunden ihre Familienerinnerungen mit, und Ulrike Bender hört zu, berät und erzählt. Auf Neudeutsch: eine „win-win-situation“ für alle Beteiligten.
Das Bibelzitat vom Propheten, der nirgends weniger gilt als im eigenen Hause, scheint selten so zutreffend, wie zwischen den holzgewordenen Träumen und Erinnerungen in der Braubachstraße. Deutsche Kundinnen und Kunden seien oft misstrauischer, mäkelten am Preis herum, hat Bender erfahren. Oder sie kämen gar nicht erst: „Wer bei uns diese Arbeiten heute noch zu schätzen weiß, der erbt sie auch innerhalb der Familie.“ Und kauft dann höchstens zum Advent wieder einen neuen Weihnachtsengel, eine weitere Krippenfigur.
Ulrike Bender sorgt jedenfalls mit Herzblut und Geschäftssinn dafür, dass Mäusekönig, Räuchermann, Krippenfiguren und Kuckucksuhren auch den Rest des Jahres über Freunde finden.