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Juwele der Kirchengeschichte, Teil 25: Die Christuskirche in Nied

Die denkmalgeschützte Christuskirche in Nied entstand in ihrer heutigen Form bei einem Umbau 1907 im Stil des Wiesbadener Programms, das lutherische Theologie in Architektur umsetzte. Dabei hatten in der 1828 erbauten ursprünglichen Nieder Kirche sowohl evangelische als auch katholische Christ:innen ihre Gottesdienste gefeiert.

Die halbrunde geschwungene Empore lässt das Konzept der christologischen Ringkirche noch erahnen. | Foto: Rui Camilo
Die halbrunde geschwungene Empore lässt das Konzept der christologischen Ringkirche noch erahnen. | Foto: Rui Camilo

Eine Pfarrei wird in dem Ort Nied erstmals im Jahr 1160 urkundlich erwähnt, eine Kirche im Jahr 1218. Sie war vermutlich aus Holz, erhalten ist von ihr jedenfalls nichts. 1489 ordnete Landesherr Philipp von Hanau den Bau einer steinernen Kirche an, die im dreißigjährigen Krieg stark beschädigt wurde. Als der Krieg 1648 zu Ende ging, gehörte Nied zum katholischen Kurmainz. Evangelische Amtshandlungen waren dort verboten, bis Napoleon 1803 die geistlichen Fürstentümer verweltlichte und Nied dem kirchlich liberalen Herzogtum Nassau zugeschlagen wurde.

Anstelle der alten Kirchenruine wurde zwischen 1826 und 1828 eine neue Kirche im klassizistischen Stil gebaut. Es war eine so genannte „Simultankirche“, die sowohl von evangelischen als auch katholischen Gläubigen für Gottesdienste genutzt wurde. Dem katholischen Verständnis entsprechend trennte zunächst eine halbhohe hölzerne Barriere den Chorraum vom Kirchenschiff. Aber ab 1846 stellten die Evangelischen einen eigenen Altartisch vor die Barriere und verhängten während ihres Gottesdienstes katholische Heiligenbilder und Figuren mit Tüchern.

Am Ende des 19. Jahrhunderts waren beide Gemeinden stark gewachsen und wünschten sich je eine eigene Kirche. Die evangelische Gemeinde zahlte 1907 die katholische aus, behielt das Kirchengebäude und baute es um. Aus der Simultankriche sollte eine evangelische Predigt- und Gemeindekirche werden, die nach dem Willen des Kirchenvorstands an den Erlöser erinnern sollte: Sie gaben ihr den Namen Christuskirche. Die katholische Gemeinde baute sich hingegen eine neue Kirche, die St. Markus-Kirche.

Umbau zur Ringkirche

1907 wurde der Innenraum der Christuskirche von Architekt Ludwig Hofmann zu einer „Ringkirche“ umgebaut. Er orientierte sich dabei am Wiesbadener Programm für Kirchenbau von 1891, für das Luthers Diktum vom „Priestertum aller Gläubigen“ Pate gestanden hatte. Danach sollten Altar, Kanzel und Orgel eine Einheit bilden. Hofmann interpretierte das Architektur-Programm aber auf eigene Weise: Altar und Kanzel wurden nicht direkt übereinander angebracht und die Konzentration auf den Altar in der Apsis wurde aufgehoben.

In die tiefe Apsis der Christuskirche setzte der Herborner Architekt eine große Orgel in anderthalb Meter Höhe über dem Boden. Davor entstand eine kleinere halbkreisförmige Sitzfläche für den Chor. Dieser gegenüber platzierte Hofmann eine große halbrunde Empore für die Gemeinde, die zusammen mit den Plätzen im Kirchenschiff darunter die andere Hälfte des Gemeindekreises bildet. So waren einerseits beide Halbrunde durch die Brüstung getrennt, andererseits aber durch seitliche Sitzbänke miteinander verbunden. Die kreisförmige Anordnung spiegelte die Überzeugung wieder, dass der Altar nicht die Mitte des evangelischen Gottesdienstes ist, anders als beim katholischen. Der Altar war zu dieser Zeit ein einfacher Tisch, auf dem lediglich Abendmahlsgeräte und Taufschale standen; keine Bibel, kein Kreuz, keine Kerzen. Die zeltförmige Kanzel fand ihren Platz neben dem Chorgestühl am linken Eckpfeiler, wodurch eine optische Zentrierung vom Altar weg zum gemalten Deckenkreuz im Kreis entstand, das von einem Sechseck umgeben ist. Es symbolisiert die Gegenwart Christi im Kreis der Gemeinde.

Die Kirche wurde am 24. Mai 1908 eingeweiht. Doch ihr bemerkenswertes christologisches Konzept wurde schon bald wieder aufgebrochen und der Altarbereich erneut mit Kruzifix, Kerzen, Blumen, Paramenten und einer Bibel sakramentalisiert. Renovierungen und Veränderungen gab es in den Jahren 1931, 1958, 1977 und 2009.

Beim Blick vom Altarraum auf die geschwungene halbrunde Empore lässt sich das Konzept der christologischen Ringkirche allerdings noch erahnen. Zwar schließt sich der Kreis nicht mehr, seit die halbrunde Brüstung vor dem Chor 2009 entfernt wurde, um Veranstaltungen in der Kirche zu ermöglichen, und vor die hohe Orgel eine schlichte weiße Wand gebaut wurde. Aber Altar, neue Kanzel und Taufbecken aus dunklem Holz mit je kleinem goldenen Kreuz wirken schlicht und zurückgenommen, während das Rund der Empore mit den Plätzen für die Gemeinde bestimmend bleibt. Auch die alte Kanzel am linken Eckpfeiler ist geblieben, auf dem rechten hängt ein schlichtes weißes Kreuz. Orgel, alte Kanzel und Empore sind barockisierend weiß und gold gehalten und setzen sich schön von der apricotfarbenen Raumfarbe ab, in der die Kirche 2009 gestrichen wurde.

Bei den Renovierungsarbeiten 1977 hat man in der Kirche Muschelsymbolik entdeckt. Muscheln gelten als schöpfungstheologisches Symbol für Leben: Die Muschel ist ein Tier des Wassers, aus dem alles Leben hervorgeht, und kann mit der Taufe in Verbindung gebracht werden. Heute verzieren Muscheln noch als barockisierender Schmuck die Emporenbrüstung.

Die Orgel stammt ursprünglich aus dem Jahr 1908 und umfasst 28 Register und 2 Manuale. Das Instrument von Steinmeyer wurde 1955 und 1971 von Euler und 2009 von Orgelbau Hardt verändert und ergänzt. Je ein Posaunenengel links und rechts sollen an das jüngste Gericht erinnern.

Die sieben bemalten Glasfenster über der Empore stammen noch aus der Jahrhundertwende. Sie sind in zwei Gruppen angeordnet: Vier große Fenster zeigen in die vier Himmelsrichtungen. Sie stellen Szenen aus dem Leben Jesus dar. Die drei kleineren Rundbogenfesnter über dem Hauptportal bilden die zweite Gruppe. Sie zeigen die Passion, den Leidensweg Jesu.

Beim Umbau 2008/2009 wurden links hinter der Kirche Sanitäranlagen ergänzt und die ungenutzte Ehrenhalle zu einer Küchenzeile umgestaltet.

Über dem Hauptportal ist das Lamm als Symbol für Christus zu sehen, der am Ende der Zeiten dem Tod die Macht genommen hat. | Foto: Rui Camilo
Über dem Hauptportal ist das Lamm als Symbol für Christus zu sehen, der am Ende der Zeiten dem Tod die Macht genommen hat. | Foto: Rui Camilo

Die Kirche von außen

Architekt Ludwig Hofmann ließ bei seinem Umbau den Dachreiter auf der südwestlichen Seite zur Straße hin entfernen und stattdessen einen 39 Meter hohen Turm mit Uhr und goldener Weltkugel und Wetterhahn auf die rechte Seite der Kirche bauen. Die ursprüngliche Rundbogen-Tür ersetzte er durch ein Portal mit Gestaltelementen des Jugendstil.

Über dem Hauptportal auf der Schmuckfläche im Giebeldreieick (Tympanon) ist das Lamm als Symbol für Christus aus der Offenbarung, der sogenannten Apokalypse, zu sehen. Dort erscheint Christus als Lamm mit Fahnenstandarte, der am Ende der Zeiten dem Tod die Macht genommen hat. Wer also durch diese Tür tritt, kann selig werden - getreu dem Jesus-Wort aus dem Johannesevangelium „Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden.“ Originell ist, dass rechts hinter dem Lamm die Nieder Christuskirche in klein zu sehen ist, und links der Nieder Wald.

Die Christuskirche ist eine klassizistische Saalkirche, 26 Meter lang und knapp 15 Meter breit, die im Nordosten mit einer Apsis abschließt. Die Fassade besteht aus rotem Sandstein und dunkler Basaltlava. Bei der Renovierung 2009 wurde die blaue Farbe auf dem Zifferblatt der Uhr erneuert. Auf der Turmspitze ist eine Weltkugel mit Kreuz zu sehen – das gilt als Missionsbefehl. Die Sonne im Schnittpunkt ist das Zeichen für die Auferstehung am Ostermorgen. Der Wetterhahn soll an den schwankenden Petrus erinnern, der Jesus noch vor dem Hahnenschrei dreimal verleugnete. Auch die Kriegergedenktafel von 1926 an der Nordwestseite der Kirche ist erhalten.

Die Turmglocken mussten im ersten Weltkrieg abgegeben werden, die 1923 durch drei Eisenhartgussglocken ersetzt wurden. Seit 2005 befinden sich im Turm vier 1955 von den Gebrüdern Rincker gegossene Bronzeglocken, die ursprünglich in der Bornheimer Heilandskirche waren - nach deren Abriss fanden sie einen neuen Platz in der Christuskirche.


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Autorin

Stephanie von Selchow ist Redakteurin des EFO-Magazins.

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