„Ich wollte nicht ein Leben lang am Zeichenbrett sitzen“
Fast 20 Jahre leitete Farah Haidari die Sozialberatung für Migranten und Flüchtlinge im Evangelischen Zentrum Am Weißen Stein. Am Donnerstag, 22. April 2021, geht sie in den Ruhestand. Haidari erinnert sich noch gut an den Tag im Jahr 1988, der ihr berufliches Leben veränderte: Mit nichts als der Kleidung am Körper stand der junge Mann vor ihr. Viele Monate war er unterwegs gewesen und aus dem Iran über Lissabon nach Deutschland geflüchtet. Hier warteten bereits seine Mutter und seine Schwester auf ihn. Haidari betreute zu dieser Zeit für den Kirchlichen Sozialdienst Geflüchtete, die am Frankfurter Flughafen ankamen, und holte an diesem Tag auch den jungen Iraner vom Flugzeug ab. Der Geflüchtete war über einen sicheren Drittstaat eingereist und sollte ohne Anhörung sofort wieder abgeschoben werden. Gemeinsam mit Birgit Plank, der damaligen Leiterin des Sozialdienstes, und einem Anwalt versuchte sie bis spät in die Nacht die drohende Abschiebung des Mannes zu verhindern, telefonierte mit Behörden, tröstete die weinende Mutter und war am Ende erfolgreich – er blieb in Deutschland.
„Dieser Moment und die Arbeit am Flughafen haben mich sehr geprägt. Ich konnte mir von da an nicht mehr vorstellen, ein Leben lang am Zeichenbrett zu sitzen“, erzählt Haidari. Die gebürtige Iranerin war ursprünglich zum Architekturstudium nach Deutschland gekommen, die Arbeit am Flughafen ist zunächst nur ein Nebenjob. Bald bricht sie ihr Studium ab, studiert Soziale Arbeit und beginnt im Jahr 1992 ihr Anerkennungsjahr beim Psychosozialen Zentrum für ausländische Flüchtlinge in Frankfurt am Main. Von 1993 bis 2003 leitet sie die Einrichtung „Regenbogen – Internationale Stadtteilarbeit am Bügel“ und wird danach Leiterin des Fachdienstes „Sozialberatung für Migranten und Flüchtlinge“ im Evangelischen Zentrum Am Weißen Stein.
Bewegte Jahre, in denen sie intensiv am Aufbau des Fachdienstes und des Beratungszentrums Am Weißen Stein mitarbeitete. „Ich wollte mitdenken und einen Beitrag leisten, dass die Integration von Migrant:innen und Geflüchteten nicht auf der Strecke bleibt, sondern die Menschen in Würde in unserer Gesellschaft aufgenommen werden“, beschreibt Haidari ihre Motivation. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr auch das Jahr 2015 als hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Wieder wurde Farah Haidari aktiv und organisierte mit ihren Kolleg:innen Verfahrens- und Sozialberatung in verschiedenen Not- und Flüchtlingsunterkünften in Frankfurt.
Eine große Belastung für Migrant:innen und Geflüchtete sieht Haidari heute in den Auswirkungen der Corona-Krise. Seit dem Ausbruch der Pandemie verzeichnet der Fachdienst eine deutliche Zunahme der Anfragen. „Viele kommen zu uns, weil sie durch Corona ihre Arbeit verloren haben oder Hilfe beim Kontakt zu Behörden und Ämtern brauchen, die nur noch per E-Mail und Telefon erreichbar sind. Gerade Ratsuchenden mit schlechten Deutschkenntnissen fällt es schwer, ihre Anliegen auf diesem Weg zu klären. Als eine der wenigen Beratungsstellen in Frankfurt haben wir deshalb bereits im Mai letzten Jahres wieder persönliche Beratungen durchgeführt“, berichtet Haidari über die aktuellen Herausforderungen in der Beratungsarbeit.
Ganz möchte sie die Flüchtlingsarbeit nicht hinter sich lassen und kann sich ein Ehrenamt im Ruhestand gut vorstellen. Erst einmal plant sie aber viel Zeit mit ihrem Enkelkind zu verbringen.