„Ich habe keine Angst mehr vor Euch“
Die drei Fußballfans meldeten sich zerknirscht. Ihr Verein hatte verloren, der Frust wurde in Alkohol ertränkt, und dann kreuzte dieser Mann mit dem falschen Fan-Schal den Weg. Einer der drei schlug zu, der Passant fiel k.o. zu Boden. Angeklagt vor Gericht riet die Anwältin den drei zu einem alternativen Weg. Der Täter-Opfer-Ausgleich in Frankfurt am Main nahm die Anfrage an.
Die Gewalttat aus heiterem Himmel hatte das Opfer nachhaltig verstört, berichtet die bisherige Leiterin der beim Evangelischen Regionalverband angesiedelten Vermittlungsstelle, Birgit Steinhilber, die zum Jahresende in den Ruhestand ging. „Ich muss immer noch daran denken“, habe er im Vorgespräch gesagt. Der Mann Mitte 30 traute sich seither nicht mehr, zu einem Fußballspiel zu gehen. Doch er stimmte einem Gespräch mit den Beschuldigten zu. „Wir haben einen großen Fehler gemacht und möchten dafür einstehen“, gestanden diese in der Vermittlungsstelle. Sie hätten dem Opfer sogar angeboten, ihm für den Abend eine Karte für das örtliche Fußballspiel zu besorgen und ihn zu begleiten. Das lehnte der Geschädigte ab, aber er akzeptierte die Entschuldigung: „Ich habe jetzt keine Angst mehr vor euch“, sagte er. „Ich möchte auch nicht, dass ihr groß bestraft werdet.“ Er verlangte ein Schmerzensgeld von 2.000 Euro. Die drei waren einverstanden.
Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) bietet anders als der Strafprozess den Konfliktparteien die Möglichkeit, sich einvernehmlich zu einigen, wie Steinhilber erklärt. Die Beschuldigten werden mit den Folgen ihres Handelns direkt konfrontiert, die Geschädigten können sich aussprechen. „Das Opfer hat nichts von einem Strafurteil“, sagt die Sozialarbeiterin und Mediatorin. „Aber im Täter-Opfer-Ausgleich kann der Geschädigte die Tat dem Beschuldigten vorhalten. Und bei einer Einigung gehen beide gestärkt aus dem Gespräch.“
Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Die Vermittlungsstelle in Frankfurt, die älteste und größte in Hessen, führt jährlich Gespräche mit mehr als tausend Beteiligten, je zur Hälfte Jugendliche und Erwachsene. In knapp der Hälfte der Vermittlungen im Erwachsenenstrafrecht und bei 90 Prozent der Vermittlungen im Jugendstrafrecht gibt es eine Einigung. „Der Ausgleich zeigt mehr Wirkung als das Strafrecht für diejenigen, die sich darauf einlassen“, zieht Steinhilber ein Fazit aus ihrer 29-jährigen Arbeit, auch als Vertreterin des Landes Hessen in der Bundesarbeitsgemeinschaft TOA.
Nach dem Bericht des Bundesjustizministeriums von 2018 gab es 2016 in Deutschland 72 Vermittlungsstellen, die 7.500 Fälle bearbeiteten. Da die Angaben auf einer freiwilligen Erhebung beruhten, sei die Zahl der Fälle wahrscheinlich um etwa 50 Prozent höher. Bundesweit hätten 55 Prozent aller Angesprochenen den Kontakt aufgenommen, und bei den Gesprächen sei es in 86 Prozent der Fälle zu einer Einigung gekommen.
Am häufigsten kommen Kontrahenten wegen Körperverletzungen in die Vermittlungsstelle, berichtet Steinhilber. Auch Fälle von Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Erpressung, Sachbeschädigung, Diebstahl oder Betrug landen hier. Das Ziel der Vermittlung sei, darauf zu achten, dass es „keine Sieger und Besiegte gibt“, erklärt Steinhilber. Ein bequemer Ausweg aus dem Strafverfahren ist der TOA nach ihrer Erfahrung nicht. „Die Konfrontation kostet die Beteiligten Überwindung“, berichtet die Mediatorin. „Es ist schwer, sich im Gespräch glaubhaft zu entschuldigen. Im Gerichtsverfahren geschieht das eher oberflächlich.“ Eine Einigung kann zur Vereinbarung eines Schmerzensgeldes führen. Wer kein Geld hat, kann sich dies durch gemeinnützige Arbeit verdienen, der Opferfonds der Vermittlungsstelle zahlt dann. Er wird gefüllt durch Bußgeld, in Frankfurt werden 5.000 bis 10.000 Euro im Jahr gebraucht. Das Gericht berücksichtigt eine Einigung strafmildernd oder stellt das Strafverfahren ganz ein.
Es sind vor allem Staatsanwälte, die die Parteien auf den Täter-Opfer-Ausgleich aufmerksam machen. Weit dahinter folgt die Polizei. Richter, Rechtsanwälte, Jugendgerichtshilfe oder Selbstmelder geben eher selten den Anstoß. „Der TOA könnte in Deutschland viel stärker genutzt werden“, wendet Steinhilber ein. In Österreich etwa geschehe das viel öfter.
Täter-Opfer-Ausgleich Frankfurt am Main: http://toa-ffm.de
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