Flüchtlinge: „Haben Sie doch nicht so viel Angst!“
Ohne Zweifel: Die Herausforderungen an die deutsche Gesellschaft durch die vielen Flüchtlinge momentan sind groß, und die offiziellen Stellen häufig überfordert. „Ohne das starke ehrenamtliche Engagement aus der Bevölkerung würden wir es nicht schaffen“, gestand Armin von Ungern-Sternberg, der Leiter des Frankfurter „Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten“, ein. Er war zu einer Veranstaltung des Evangelischen Stadtdekanats ins Dominikanerkloster gekommen, wo versucht wurde, die aktuelle Debatte zu versachlichen.
Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigter Sorge und populistischer Hysterie? Wie viel „Fremdes“ verträgt die deutsche Gesellschaft, ohne ihre eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen?
„Einheimische“ und „Fremde“ nicht leicht zu unterscheiden
Zunächst einmal sei gar nicht so klar, was „Einheimische“ und „Fremde“ voneinander unterscheidet, erläuterte der Soziologe Constantin Wagner von der Goethe-Universität. Welches Aussehen, welcher Dialekt, welche Religion jeweils als „fremd“ wahrgenommen wird, sei nicht unbedingt aus objektiven Faktoren abzuleiten: Dass für viele ein türkischer Akzent fremder klingt als ein sächsischer und der wieder fremder als ein schwäbischer, hat ja nichts mit dem Akzent zu tun.
Gerade was die Integration von Neuankömmlingen in Deutschland betrifft, so sind die „Einheimischen“ keineswegs nur solche mit langer deutscher Familiengeschichte. Auch viele Ehrenamtliche mit Migrationsbiografie engagieren sich für die Flüchtlinge, betonte Ungern-Sternberg. Sie seien zum Beispiel beim Übersetzen sehr wichtig: „Wir haben da in Frankfurt einen klaren Vorteil gegenüber Städten mit geringerem Migrationsanteil. Multikulturalität ist die beste Voraussetzung für Integration.“
Historisch sind Migration und Flucht nichts Außergewöhnliches
„Historisch und global betrachtet sind Migration und Flucht nichts Außergewöhnliches, sondern normal“, betonte der Soziologe Wagner. Gleichzeitig muss man sich aber auch darüber im Klaren sein, dass Migration nicht konfliktfrei und rundum harmonisch vonstatten geht. Diesen Aspekt betonte Peter Scherle, Professor am Theologischen Seminar Herborn. Er forderte ein, dass Debatten über Rechte und Pflichten unter dem Stichwort des „gemeinsamen Wohls“ geführt werden. Weder könnten Einheimische verlangen, dass Neuankömmlinge sich völlig den vorgegebenen Regeln und Gebräuchen anpassen, noch könnten Zugewanderte alles beibehalten, was sie bisher gewohnt waren.
„Persönliche Gefühle des Unbehagens sind auf beiden Seiten kein Argument“, betonte Scherle. Vielmehr müssten alle sich an einem „gemeinsamen Wohl“ orientieren und dieses miteinander neu definieren. Das erfordere auch Konfliktbereitschaft, und darauf sollten Kirchengemeinden ihre Mitglieder einstimmen. Christinnen und Christen sollten dazu beitragen, dass Konflikte sachlich und respektvoll ausgetragen werden. Rückwärtsgewandte Sehnsüchte nach einer idealisierten „Heimat“ hätten im christlichen Glauben aber keinen Rückhalt, so Scherle: „Gott sagt uns: Eure Heimat ist im Himmel. Also dort, wo es keine Heimatlosen, keine Flüchtlinge, keine Bittsteller gibt, nur Schwestern und Brüder.“
Die Medien spielen momentan keine hilfreiche Rolle
Bei all diesen schwierigen Auseinandersetzungen spielten die Medien im Moment keine sehr hilfreiche Rolle, sagte die Journalistin Canan Topçu. Die ehemalige Redakteurin der Frankfurter Rundschau nahm zwar ihre Zunft gegen populistische Angriffe in Schutz. Ein Problem sei jedoch der harte Konkurrenzkampf. „Dadurch entsteht in den Redaktionen ein ungeheurer Druck, immer wieder etwas Neues zu bringen, egal ob es überhaupt neue Fakten und Erkenntnisse gibt.“
Wer sich wirklich informieren will, so ihr Rat, solle bei aktuellen Ereignissen erst einmal weniger Nachrichten lesen. „Wenn sich alle so schnell auf ein Thema stürzen, sorgt das nicht für Klarheit, sondern für Verwirrung.“ Einige Tage später, wenn sich die Wogen dann wieder beruhigt haben, kämen durchaus auch wieder differenzierte und sachliche Analysen. Leider würden sie meist nur noch ein kleines Publikum finden, weil das Interesse der Mehrheit bereits weitergewandert sei.
Vor allem solle man angesichts der Herausforderungen nicht in Alarmismus verfallen. Deutschland sei ein reiches Land mit vielen Ressourcen: „Haben Sie doch nicht so viel Angst!“