Freiraum für Jugendliche am Sachsenhäuser Hang
Die Bushaltestelle an der Darmstädter Landstraße nennt sich noch „Brauerei“, doch die Bindingfassade zeigt schon triste Schlieren, die Produktion ist eingestellt. Das Gebäude gegenüber, siebziger Jahre vielleicht, befindet sich in Top-Zustand, Büroadressen, frisch sanierte Wände, Granitboden im großzügigen Entree. Ansässig im Erdgeschoss ist neuerdings der „Jugendtreff Sachsenhausen“ des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit in Frankfurt am Main. „Ich hatte mal eine Honorarmitarbeiterin, die sagte, hier am Hang müsste man unbedingt was für Jugendliche aufmachen“, erzählt Markus Richarz, Leiter des Treffs. Ihr Argument sei gewesen: Hier gibt es nichts für Jugendliche. Aber viele Familien – in Sozialwohnungen, in Einfamilienhäusern, in Doppelhaushälften.
Bislang unterhielt der Verein unweit des Schweizer Platzes ein „Provisorium“. Aufgrund der Anrainer waren nur Öffnungszeiten bis 17 Uhr erlaubt, ein Großteil des Angebots erfolgte in Kooperation mit Schulen. Der neue 288 Quadratmeter umfassende Treff für Jugendliche ab zwölf Jahren hat montags und freitags bis 19 Uhr, am Dienstag und Mittwoch bis 20 Uhr und donnerstags bis 21 Uhr geöffnet. „Abends sind die Büros leer“, nennt Johannes Löschner, Leiter des Arbeitsbereichs Offene Kinder- und Jugendarbeit, Jugendberatung und Migrationsdienste des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit, einen Vorteil des neuen Standorts. Der Hausbesitzer habe sich offen gezeigt für den Treff als Mieter, aus sozialem Engagement und: Jugendhäuser verschwinden nicht so plötzlich wie manches Büro.
Ganz gewichen ist der Bürocharakter nicht. Auch jetzt stehen in einem Großraum Schreibtische, an vier Computern kann gearbeitet werden – oder auch gesurft und gespielt. Eine Integrationsklasse Geflüchteter wird in den Räumen jeden Morgen unterrichtet. Ein ehemaliges Einzelbüro wurde zu einem Mädchenrückzugsort. „Die brauchen das manchmal, die Jungens nehmen sich die Jugendhäuser“, meint Löschner. Es muss sich zeigen, welche Gewohnheiten und Bedürfnisse den Treff prägen werden, „wir haben kein Programm geschrieben, das entwickelt sich“, sagt Richarz. Offizielle Eröffnung ist am 19. Februar, die Integrationsklasse junger Geflüchteter nutzt das „Warm-up“.
Kooperation mit der Lebenshilfe
„Integration“ ist auch auf andere Weise ein Stichwort. Der Eingang des Treffs ist barrierefrei gestaltet, in den nächsten Tagen wird eine Toilettentür ausgetauscht, damit Rollstühle Zugang haben. „Unsere Einrichtung ist barrierefrei“ steht ausdrücklich auf dem Flyer. Der Evangelische Verein kooperiert bei dem Jugendtreff Sachsenhausen mit der Lebenshilfe Frankfurt. Die Lebenshilfe Frankfurt hat Verschiedenes angedacht: Geplant sind unter anderem Peergruppen-Angebote für junge Erwachsene mit Behinderung, inklusive Angebote für Kinder und Jugendliche in den Ferien und Angebote für Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf. Doch zuerst geht es ums Kennenlernen. „Inklusion mit Leben zu füllen heißt vorrangig, auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden einzugehen und sie als Expert:innen in eigener Sache wahrzunehmen“, erläutert Eva Wick, Leiterin des Bereichs Freizeit und Reisen der Lebenshilfe Frankfurt. Dominique Deneu, Pädagogische Vorständin der Lebenshilfe Frankfurt, ergänzt: „Wir freuen uns über Kooperationsmöglichkeiten in der Stadt. Die Lebenshilfe Frankfurt macht sich stark dafür, Menschen mit Behinderung mehr Sichtbarkeit und Teilhabe im Sozialraum Frankfurts zu verschaffen.“ Sie ist gewiss: Die Jugendlichen werden voneinander lernen.
Aufgefrischtes Mobiliar
Johannes Löschner vom Evangelischen Verein für Jugendsozialarbeit rechnet damit, dass nicht nur über die Lebenshilfe Jugendliche aus anderen Stadtteilen kommen werden. „Das hat sich geändert, die bleiben nicht unbedingt im Viertel“. Es hängt auch vom Angebot ab. Foto, Video-, Musikproduktion, Spiele analog und online, zählen hier dazu. Ein massiver Billardtisch, ein Tischkicker und vor allem freie Fläche stehen zur Verfügung, unterbrochen durch Sofas, Sitzkissen und bunte Tischgruppen, am Rande eine meterlange Küchenzeile, mitgebracht vom alten Standort des Vereins in Sachsenhausen.
Der Billardtisch lagerte lange in einem anderen Jugendhaus, die Bistrotische hat Richarz abgeschliffen, neu lackiert, Rot, Gelb, Orange, Blau, „die sind uralt“, seine privaten Werkzeugkoffer stehen im Abstellraum. Die große Screenleinwand, vor der sich auf Sitzkissen lümmeln lässt, hat die Telekom-Stiftung spendiert. „Hier ist fast nichts neu oder selbst gekauft“, erzählt der Hausleiter. Das Geld fehlt. Auch für die Besetzung der vorgesehenen zwei Stellen reichen die Finanzen nicht, mit 1,75 muss er auskommen. Gerade dieser Tage wieder hat der Verein zusammen mit anderen Trägern bei der Stadt eine Erhöhung der Mittel eingefordert.
Und trotzdem – derzeit zieht Richarz durch die Sachsenhäuer Siedlungen. 5000 Flyer „Jugendtreff Sachsenhausen“ hat er drucken lassen, wirft sie in die Briefkästen. Mit Löschner träumt er von einem „Pädagogischen Mittagstisch.. In sechs der 21 Einrichtungen des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit gibt es schon Gelegenheit, miteinander zu essen, „für viele ist das die erste Mahlzeit am Tag“, so Löschner. Hierfür fehlt in Sachsenhausen das Geld.
Mal schauen, es geht erst los am Sachsenhäuser Hang mit diesem neuen Angebot für Jugendliche.