„Die Drogenszene zu kriminalisieren ist der falsche Weg“
Diesmal
hat der Gewerbeverein „Treffpunkt
Bahnhofsviertel“ Alarm geschlagen, ein Zusammenschluss von Einzelhändlern
und Gastronomen. Sie befürchten, dass ihnen die Kundschaft wegbricht. Es werde
zunehmend in großem Stil mit Drogen gehandelt, Taschendiebstähle und Trickbetrügerei
nähmen zu, der Crack-Konsum schreite voran, und die sozialen Einrichtungen hätten
die Lage nicht mehr unter Kontrolle. Großaufgebote der Frankfurter
Polizei seien „punktuell gut, allerdings nicht nachhaltig“, kritisiert Ulrich
Mattner, der Vorsitzende des Gewerbevereins. Die Drogenszene werde so nur kurzzeitig
verdrängt und zerstreut.
Nach Meinung des Vereins sollte die Drogenpolitik der Stadt, der so genannte „Frankfurter Weg“, grundsätzlich überdacht werden. Vor zwanzig Jahren war hier angesichts zahlreicher Todesfälle unter Drogenabhängigen ein pragmatischer und akzeptierender drogenpolitischer Ansatz gewählt worden. Heute würden aber immer mehr Menschen statt Heroin die Droge Crack konsumieren, die nur kurz wirke. Die Abhängigen seien deshalb ständig unruhig und damit beschäftigt, Nachschub zu besorgen. Dieser Druck mache sie aggressiv, und die Beschaffungskriminalität steige, so die Darstellung der Gewerbetreibenden.
Tatsächlich haben auch Polizeimaßnahmen im Bahnhofsviertel zugenommen, es gibt mehr Großaufgebote und Razzien. Das wiederum kritisiert nun eine andere Gruppe, die „Initiative Bahnhofsviertel“, in einem offenen Brief. In der Presse werde die Situation „verzerrt und dramatisiert“ dargestellt, der Crack-Konsum habe im Vergleich zu früher nicht erwähnenswert zugenommen. Die Initiative vermutet hinter der Debatte und der zunehmenden Polizeipräsenz einen „politischen Willen“, der möglicherweise auch mit den massiven Gentrifizierungsprozessen zu tun hat, die das Bahnhofsviertel zurzeit durchläuft: Wer Immobilien lukrativ vermarkten will, ist daran interessiert, dass alle Drogenabhängigen aus der Nachbarschaft verschwinden.
Auch Jürgen Mühlfeld von der Diakonie Frankfurt glaubt nicht, dass sich die Situation akut verschlechtert hat. „Die Drogenszene ist seit Jahrzehnten ein Teil des Bahnhofsviertels. Aber jetzt ist das Viertel schick und beliebt geworden, auch zum Wohnen“, sagt der Sozialarbeiter aus dem Diakoniezentrum Weser 5, der sich gut im Stadtteil auskennt. In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Menschen, die hier wohnen, von 1500 auf 4000 angewachsen. „Das Thema ist einfach sehr komplex“, sagt Mühlfeld.
Die konstruktive Zusammenarbeit mit der Polizei sei jedenfalls ein wichtiger und guter Baustein des Frankfurter Weges. „Die Aufmerksamkeit der Einsätze sollte dem organisierten Verbrechen und den Drogendealern gelten“, sagt der Sozialarbeiter, und warnt davor, den Drogenkonsum zu kriminalisieren: „Drogenabhängige sind Teil unserer Gesellschaft, sie sind krank und hilfsbedürftig. Und sie sind immer auch ein Produkt von aktuell vorherrschenden Verhältnissen.“
Menschen und ihre Schicksale dürften nicht „Bestandteil politischer Profilierungspraktiken“ sein, betont Mühlfeld. Es könne aber nicht schaden, den Frankfurter Weg in der Drogenpolitik nach zwanzig Jahren zu überprüfen und gegebenenfalls etwas zu verändern. Im Fokus müsse allerdings immer die Würde der betroffenen Menschen stehen.
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