Der Küster vom Römerberg
In der einen Hand ein Zellstofftuch, in der anderen eine gelbe Sprühflasche mit Wasser – Küster Carsten Schwöbel wischt auf die Schnelle zwischen den Sitzreihen der Alten Nikolaikirche einen Fleck weg. „Weiß auch nicht, was es war, vielleicht Eis.“ Könnte gut sein. Rund ums Jahr ist die Kirche der Evangelischen Sankt Paulsgemeinde auf dem Römerberg ganztags geöffnet, manchmal tröpfelt der Besuch, in diesen Tagen ist man selten allein in dem Gotteshaus. Touristinnen und Touristen gehen ein und aus.
Mit Rollkoffern, ein Sonnenhütchen auf, kommen sie in den Bau, dessen Wurzeln auf das zwölfte Jahrhundert zurückgehen. Ein junger Mann in Shorts, zwei Meter hoch dürfte er sein, verharrt zehn Minuten in Ruhe auf einem der Stühle. Die meisten schauen sich jedoch um, erkundigen sich bei der ehrenamtlichen „Wegbegleiterin“, die am Eingang Auskünfte gibt.
Carsten Schwöbel ist der ruhende Pol in dem Geschehen. Seit 26 Jahren hat er hier seinen Arbeitsplatz. Von 1999 bis 2008 war er zudem in der Dreikönigskirche am Eisernen Steg tätig. Heute teilt sich seine Arbeit so auf: 40 Prozent Alte Nikolaikirche, 50 Prozent Evangelische Akademie Frankfurt und zehn Prozent Evangelisches Frauenbegegnungszentrum, alles in einem Radius von 300 Metern am oder um den Römerberg angesiedelt.
In der Akademie ist Schwöbels Schwerpunkt die Vorbereitung von Veranstaltungen, Stühle rücken, die Dinge einrichten, „das ist mein Fitness-Studio“, sagt er und lacht. Fürs Frauenbegegnungszentrum macht er dies und das. An dem Vormittag klingelt sein Handy, der Schlüssel wird gebraucht, mit anderen hängt er an der Kette, die an seinem Hosenbund baumelt.
Schwöbel ist studierter Sozialpädagoge, nebenamtlich war er in Wolf, einem bei Büdingen gelegenen Dorf, als Küster tätig. Frankfurt kannte er aus Studienzeiten, aber er hätte auch woanders eine Küstertätigkeit angestrebt. „Das hier ist nach wie vor mein Traumjob“, sagt der 58-Jährige. Und in einem Atemzug gibt er die Begründung: „Alles was mit dem Gottesdienst zu tun hat“ schätzt er. Sonn- und feiertags steht Carsten Schwöbel da, im Anzug, in Krawatte. Während er es wochentags lässig mag, müssen zu Gottesdienstzeiten die Temperaturen schon mal sehr heiß sein, dass er sich auf ein schwarzes T-Shirt beschränkt.
In der Alten Nikolaikirche werden die Gottesdienste stets mit Abendmahl gefeiert, das ist vorzubereiten, die Blumen sind zu richten, die Kerzen anzuzünden. Seine Rolle ist wichtig: „Die Leute studieren doch nicht Theologie, um hinterher zu fegen.“ Zum Glück werde in der Alten Nikolaikirche eine gute Theologie gepflegt, sagt Carsten Schwöbel. Ärgern kann er sich, „wenn es zu banal wird“. Mit seinem Mann, der Prädikant, Organist und Kirchenvorstandsmitglied in der Sankt Nicolai-Gemeinde im Frankfurter Ostend ist, schaut der Küster sich gelegentlich andernorts um und geht dann auch schon mal unbefriedigt raus.
Ohne den Gottesdienst mag Schwöbel sich seinen Beruf nicht vorstellen, „nur Hausmeister sein möchte ich nicht“. Er identifiziert sich mit „seiner“ Kirche, verfügt über fundierte kirchenhistorische Kenntnisse, ist Mitglied im Seniorrat des Evangelisch-lutherischen Predigerministeriums, in dem Rahmen hält er am Reformationstag 2024 einen Vortrag zu Anton Urspruch, einem Pfarrer, der, verheiratet mit einer getauften Jüdin, 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Frankfurt verfemt wurde.
Übers Mittelalter, über Bauten, über Menschen hält er Vorträge. Schwöbels Recherchen im Archiv des Evangelischen Regionalverbandes, des Instituts für Stadtgeschichte und in anderen Fundgruben geben vieles her. Damit nicht genug, Carsten Schwöbel ist Mitglied der Mitarbeitendenvertretung im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, er engagiert sich seit Langem im Küsterbund der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, seit 2022 ist er dessen Vorsitzender. „Wir sollten gehört werden“, sagt er, alles Ehrenamtlichen zu übertragen, sei nicht machbar, „die haben so viel anderes zu tun“, das habe er erst neulich bei einem Besuch der EKHN in Darmstadt gesagt. Ohne Küster geht Kirche nicht. Von Bedeutung seien schließlich Wort und Ort.