Gentrifizierung in Bockenheim: Super-schicki verdrängt Vielfalt
Es ist noch nicht lange her, da war plötzlich dieses
veränderte Klima im Stadtteil, erinnert sich Wiltrud Pietschmann. Die Rentnerin
lebt seit 30 Jahren in einer Bockenheimer Mietswohnung. „Ich bin nicht akut
bedroht, unser Vermieter ist kein Abzocker. Aber ich habe ein Gefühl von
Unsicherheit. Bei uns im Haus traut sich keiner mehr, auszuziehen. Und ich frage
mich, wie lange kann ich hier noch wohnen.“
Wiltrud Pietschmann bezieht eine passable Rente, sie will sich nicht beklagen. Aber sie weiß auch: Wenn sie doch aus ihrer jetzigen Bleibe rausmüsste, dann könnte sie die Miete auf dem freien Wohnungsmarkt in ihrem Stadtteil nicht bezahlen. Dann würde es ihr gehen wie einer Freundin, die nach dem Tod der Mitbewohnerin vergeblich eine kleinere Wohnung in Bockenheim suchte – und schließlich nach Praunheim zog. Es würde ihr gehen, wie derzeit vielen Menschen, die in Bockenheim wohnen.
Stadtplaner registrieren diese Entwicklung bundesweit in den Großstädten: Mieter mit niedrigen und auch mittleren Einkommen werden aus zentraleren Vierteln an die Ränder der Stadt gedrängt. Auch in Frankfurt ist es so und das Stadtplanungsamt schrieb schon 2015: „Die Wanderungsrate ist in Bockenheim weit überdurchschnittlich, auch gegenüber anderen innenstadtnahen Stadtteilen, und in den letzten Jahren weiter angestiegen.“
Es zögen vor allem „einkommensstärkere und jüngere Erwerbsträger“ ins Viertel und suchten kleinere Wohnungen. Familien, Rentner und sozial Schwächere haben das Nachsehen. Doch die Bockenheimer nehmen das nicht klaglos hin. Die Initiative „Zukunft Bockenheim“, 2010 im Zuge des Wirbels um den Kulturcampus aus dem Stadtteil heraus gegründet, begleitet das Thema Wohnen engagiert, berät Mieter und Mieterinnen, torpediert nötigenfalls auch bedrohliche Immobilientransfers.
Wie neulich, als man den Verkauf des ehemaligen Tibethauses am Hülya-Platz und die Entstehung teurer Eigentumswohnungen auf dem Gelände durch findige Proteste verhinderte. Vor kurzem lud die Organisation gemeinsam mit anderen Bürger-Initiativen zur Diskussion über Frankfurter Wohnungspolitik in die Jakobskirche am Kirchplatz. Werbung hatte es wenig gegeben, und doch war die Kirche krachend voll - vorherrschende Haarfarbe: grau.
Viele waren gekommen, um dem anwesenden Oberbürgermeister Peter Feldmann ihre Notsituation vorzutragen: Eine Rentnerin, der nach der letzten Mieterhöhung noch 265,49 Euro zum Leben bleiben; Ein Mann, der so gebrochen Deutsch spricht, dass niemand seine verzweifelte Schilderung versteht; eine Frau, die mit ihrer kranken Mutter seit 19 Jahren in einer ABG-Wohnung lebt und nun gegen eine Räumungsklage kämpft.
Ein wichtiges Thema an diesem Abend ist nicht nur das Fehlen von Sozialwohnungen. In Bockenheim lag deren Anteil laut Monitoring des Sozialdezernats schon 2013 mit 3 Prozent weit unterhalb des ohnehin schon skandalösen städtischen Durchschnitts (8 Prozent).
Diskutiert wird auch das heiße Eisen „Mietspiegel“, die von den jeweiligen Kommune in Auftrag gegebene Übersicht über ortsübliche Vergleichsmieten im frei finanzierten Wohnungsbau. Wiltrud Pietschmann, die Bockenheimerin von oben, engagiert sich seit Jahren bei „Zukunft Bockenheim“ und empört sich in ihrem Impulsreferat: „Der Mietspiegel ist in Frankfurt das Instrument per se, um Mieterhöhungen zum Selbstläufer zu machen.“ Weil der Mietspiegel lediglich aus den Mieterhöhungen und nicht aus dem Durchschnitt aller Mieten im betreffenden Bezirk errechnet werde, heize er die Preise an, so der Vorwurf. In Bockenheim war es 2010 ein regelrechter Schock, als der Mietspiegel die Villen des Diplomatenviertels plötzlich mit dem Rest des Stadtteils in ein und dieselbe Wohnlage kategorisierte und mit dem gleichen Zuschlag von 1,24 Euro pro Quadratmeter bedachte.
Pietschmann kümmert sich im Stadtteilbüro um Mieterberatung und erzählt: „2010 war ein richtiger Bruch. Da hatten wir das Büro voll von Mietern mit immensen Mietsprüngen.“ Viele mit wenig Geld seien bereits weggezogen, beobachtet sie. „Jetzt kommt auch die Mittelschicht in die Mieterberatung. Gebildete Leute mit normalen Einkünften, die sich vor ein paar Jahren wahrscheinlich noch eine Eigentumswohnung hätten leisten können.“
Auch die Stadt hat diese Entwicklung registriert und Bockenheim 2015 unter Milieuschutz gestellt. Ein Instrument gegen die laufende Gentrifizierung, das nun auch für Stadtteile wie Nordend oder Ostend in Planung ist. Der Milieuschutz räumt der Kommune ein Vorkaufsrecht ein, wenn Immobilien den Besitzer wechseln.
Der Vorwurf in der Jakobskirche jedoch lautete: Die Stadt Frankfurt nutzt dieses Instrument viel zu wenig. Warum erwerbe sie beispielsweise nicht das Areal des Tibethauses? Warum hat sie nicht eingegriffen, als das Nachbargrundstück des Café Exzess – autonomes Zentrum mit langer Tradition im Stadtteil – an einen Investor ging? Dort, in der Leipziger Straße 93, ist ein Haus mit bezahlbaren Wohnungen jetzt abgerissen worden und der Baukran steht bereit: Entstehen sollen „Eigentumswohnungen mit gehobener Ausstattung“. Die billigste kostet 650.000 Euro für 98 Quadratmeter.
„Wir wünschen uns schon, dass der Stadtteil so vielfältig bleibt wie er ist und nicht in Richtung super-schicki läuft“, sagt Pia Baumann, Pfarrerin der Jakobsgemeinde. Sie und ihr Kollege Rüdiger Kohl sehen sich in der Verantwortung, das Viertel mitzugestalten und damit auch das Thema Wohnen. Gemeinsam mit „Zukunft Bockenheim“ hat man damals in puncto Kulturcampus schon kräftig mitgemischt und die „Bockenheimer Erklärung“ an Bau-Bürgermeister Olaf Cunitz geschickt.
„Aber die Menschen hier wehren und organisieren sich, dafür gibt es eine gewachsene Struktur“, glaubt Baumann. Und beobachtet überdies: „Die Bockenheimer sind sehr im Stadtteil verhaftet.“ So wohnte neben dem Pfarrhaus eine Familie, die - wie so viele andere – beim zweiten Kind eine neue Wohnung brauchte. In Bockenheim war partout nichts zu finden und die Familie zog schließlich in den Vordertaunus, erzählt die Pfarrerin. „Die fühlen sich aber noch immer als Bockenheimer. Ihre Taufe haben Sie in der Jakobskirche geplant.“
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