Frankfurt lokal

27 Geschichten aus Bockenheim

Spurensuche in einem unterschätzten Frankfurter Stadtteil: Ein neuer Sammelband enthält Geschichten aus Bockenheim. Die Publikation aus dem Mainbooks-Verlag wurde kürzlich beim „Kirchplatzgespräch“ in der Jakobskirche vorgestellt.

Postkarte von 1907 zum Umzug der Senckenberg-Eibe (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SenckenbergEibe.jpg)  |  Pfarrer Rüdiger Kohl mit Verleger Gerd Fischer (r.) bei der Buchvorstellung in der Jakobskirche (Foto: Anne-Rose Dostalek)
Postkarte von 1907 zum Umzug der Senckenberg-Eibe (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SenckenbergEibe.jpg) | Pfarrer Rüdiger Kohl mit Verleger Gerd Fischer (r.) bei der Buchvorstellung in der Jakobskirche (Foto: Anne-Rose Dostalek)

Stadtrundgänge zu exotischen oder historisch bedeutsamen Orten von Frankfurt sind beliebt wie nie zuvor. Doch meistens ist nur die Altstadt angesagt, oder das Bahnhofsviertel, das Ostend und vielleicht noch Sachsenhausen. Bockenheim, der quirlige Stadtteil mit seinem studentischen Flair, ist etwas an den Rand gerückt, seitdem das Herz der Universität im Westend-Campus schlägt. Aber Bockenheim ist immer noch ein Stadtteil, in dem die Menschen gerne leben, in dem viel passiert, und der mit der Leipziger Straße und den kleinen Gassen rechts und links einen ganz eigenen Charakter hat.

Auf eine Spurensuche nach Unbekanntem und Wissenswertem im Stadtteil haben sich auf Einladung des Mainbooks Verlages dreißig Autorinnen und Autoren begeben. Jetzt ist der Sammelband erschienen, vorgestellt wurde er bei einem „Kirchplatzgespräch“ in der Jakobskirche. Im Dialog zwischen Pfarrer Rüdiger Kohl, Verleger Gerd Fischer und vier der beitragenden Autorinnen entfaltete sich vor einer hundertköpfigen Zuhörerschaft ein lebendiges Kaleidoskop des Stadtteil voller Geschichten.

Ihm sei wichtig, Erinnerungen zu bewahren, zum Beispiel daran, welche Menschen in Bockenheim lebten, was kulturell und historisch los war, erklärte Verleger Fischer, der selbst im Stadtteil ansässig ist. Ihn habe verwundert, wie wenig über Bockenheim, einen der größten und bedeutsamsten Stadtteile von Frankfurt, bekannt und nachzulesen sei. Doch es gibt Bockenheim-Kenner, und drei davon hat Fischer für das Projekt ins Boot geholt: Richard Grübling, Norbert Saßmannshausen und Otto Ziegelmeier, die als Herausgeber Themen gesichtet und Beiträge gesucht haben. Herausgekommen ist spannendes Buch mit einem Cover, das so bunt ist wie der Inhalt. Denn die dreißig Autoren und Autorinnen streifen durch die Geschichte Bockenheims und erzählen ungewöhnliche Geschichten.

„Heinrich Siesmayer und der Umzug einer alten Dame“, betitelt etwa Andrea Diener ihre Erzählung, die mitten hinein führt in eine Zeit, als Bäume geliebt wurden - sogar so sehr, dass ihr kostspieliger und aufwendiger Umzug organisiert wurde, damit sie überlebten. 1907 war es, als eine dreihundert Jahre alte Eibe, achthundert Zentner schwer, sorgfältig eingepackt wurde und von zwei Dampfwalzen gezogen fortrollte. Drei Wochen, lang Meter für Meter vorbei am Eschenheimer Turm und Opernplatz zum neuen Standort im Palmengarten. Das Ereignis lockte damals Schaulustige von nah und fern an und auf wurde Postkarten verewigt.

Ein anderer Beitrag erinnert an den Fabrikanten Franz Rücker (1843-1903). Die Geschichte des Industriellen hat Tanya Zehnpfund recherchiert und aufgeschrieben. Rücker war Direktor einer Perlenfabrik, gründete eine soziale Stiftung und hinterließ die Liegenschaft Ginnheimer Landstraße 42. Dort, wo heute ein Studentenheim steht, befand sich einst die Perlenfabrik, später das reformpädagogische „Westendheim“, das die SA im Nationalsozialismus in ein Foltergefängnis und KZ verwandelte. Das alles wäre vergessen, wenn es nicht jemand aufgeschrieben hätte.

Wie sie selber Geschichte geschrieben hat, eine kulturelle des Schreibens und Lesens und Buchverlegens, davon berichtete die Autorin Irmgard Schürges. Sie begann erst als Seniorin und Teilnehmerin eines Seminars „Kreativ Schreiben“ damit und gründete gemeinsam mit neun anderen den UniScripta Verlag.

In die 1970er Jahre zurück führt schließlich Arri Dillinger die humorvoll von ihren Einkäufe beim „Deubel, Geishecker, Eisenhauer und Peikert“ in der geliebten Leipziger Straße erzählt. Ganz aktuell schließlich ist das, was Annegret Held erlebt hat, (deren Beitrag Gerd Fischer las), als sie als „Teacher on the Road“ ehrenamtlich und ohne viel Ahnung, aber mit umso mehr Herzblut, den Geflüchteten des Jahres 2015 im Bockenheimer „Labsaal“, der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Mensa, Lesen und Schreiben beibrachte. Damals, als „die schwere historische Schleppe des gewaltigen Flüchtlingsstroms“ eine ganze Weile auch durch Bockenheim fegte, und die Helferinnen und Helfer lernen mussten, warum diese geschundenen Menschen „Angela Mörkel“ so sehr liebten und den Krieg hassten.

Richard Grübling, Norbert Saßmannshausen, Otto Ziegelmeier (Hg): Spurensuche in Bockenheim, Mainbook-Verlag, 16 Euro, 150 Seiten teils mit Bildern, 16 Euro.


Autorin

Anne Rose Dostalek ist freie Journalistin und lebt in Frankfurt am Main.

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