Wer darf leben?
Die Nadel im Arm gehört für Schwangere zum Alltag. Eisenwerte, Toxoplasmose, Röteln-Titer, Schilddrüsenhormone, HIV, Blutzucker: Alle paar Wochen schickt die Gynäkologin routinemäßig Röhrchen mit Blut an ein Labor. Der Mutterpass füllt sich mit kleinen Aufklebern, Kreuzchen und Zahlen.
Im Blut einer schwangeren Frau ist aber noch etwas ganz anderes erkennbar – nämlich die Zahl der Chromosomen des wachsenden Menschen. Dafür gibt es in Deutschland seit 2012 den so genannten „Pränatest“. Anders als die Fruchtwasseruntersuchung liefert er ohne Fehlgeburtsrisiko und bereits ab der 10. Schwangerschaftswoche Informationen darüber, ob der genetische Bausatz des daumengroßen Fötus vom Üblichen abweicht.
Bislang ist dieses Wissen teuer. Mehrere Hundert Euro kostet die simple Untersuchung des mütterlichen Blutes. Die Krankenkassen zahlen kaum. Der Aufkleber „Chromosomen vollzählig versammelt“ wird nicht serienmäßig hergestellt.
Das könnte sich jetzt ändern. Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, hat sich dafür ausgesprochen, dass der Test auf die Trisomien 13, 18 und 21 (und ein paar weitere chromosomale Anomalien) künftig von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt wird. Es müsse akzeptiert werden, dass Eltern Klarheit über den Gesundheitszustand ihre Kindes haben wollten, sagt der Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Universität Erlangen. Der Vorteil des Bluttests: Mütter können die Schwangerschaft mit einem behinderten Embryo bereits innerhalb der gesetzlichen Zwölfwochenfrist beenden. Die Zahl der Spätabtreibungen sinkt.
Doch Damrocks Aussage ist mehr als die Randnotiz in der Debatte um Pränataldiagnostik und vorgeburtliche Selektion, die seit Jahren tobt. Denn sie pappt einer Untersuchung das Etikett „ethisch unbedenklich“ auf, die unser Zusammenleben im Kern berührt. Die grundsätzliche Fragen aufwirft. Wen wollen wir als Gesellschaft leben lassen? Wollen wir als Eltern unser zukünftiges Kind töten, wenn es nicht der Norm entspricht? Oder will ich als Schwangere womöglich lieber „guter Hoffnung“ bleiben, und diese Entscheidung über Leben und Tod bewusst nicht treffen?
Schon heute beenden neun von zehn Frauen ihre Schwangerschaft, wenn der Test positiv ausfällt. Das Recht auf Abtreibung ist zweifellos eine Errungenschaft. Jede Frau muss entscheiden dürfen, ob sie ein behindertes Kind bekommen und versorgen kann. Das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper steht an oberster Stelle. Und es stimmt, dass eine Kostenübernahme für Frauen mit besonderen Risikofaktoren sozial gerecht ist. Auch die viel gefährlichere Fruchtwasseruntersuchung ist eine Kassenleistung, etwa für Schwangere über 35.
Schwierig wird es aber, wenn der Bluttest so selbstverständlich wie der monatliche Pieks zur Kontrolle der Eisenwerte wird. Wenn nicht das Wissenwollen, sondern das Nichtwissenwollen aktiv eingefordert werden muss. „Frau Müller, heute schauen wir dann nach Toxoplasmose, Röteln, Downsyndrom, wir wollen schließlich das Beste für Ihr Kind, nicht wahr?“
Jedes Elternpaar, das nach dem Schrecken einer vorgeburtlichen Diagnose vor der Pränatalmedizinerin sitzt, trifft für sich eine in jedem Einzelfall womöglich nachvollziehbare Entscheidung. Ganz ohne staatliche Lenkung kann sich so ein gesellschaftliches Klima verschieben – durch die Summe all dieser persönlichen Ängste vor Abhängigkeit, Statusverlust und finanzieller Belastung.
Wer behinderte Babys abtreibe, handele wie ein Auftragsmörder, sagte Papst Franziskus. Die Empörung über die Wortwahl ist zurecht groß. Doch eine Debatte über diese Fragen ist dringend nötig.
Ein Kind ist immer eine Wundertüte. Jedes Leben ist unberechenbar. Auch der Alltag mit einem gesunden Sohn, einer gesunden Tochter bringt Eltern an Grenzen. Die allermeisten Behinderungen, Beeinträchtigungen und Schicksalsschläge lassen sich nicht aus einem Röhrchen Blut herauslesen. Und ob Trisomie 21 eine Krankheit ist, darüber lässt sich streiten.
Doch sicher ist: Eine Gesellschaft, die Andersartigkeit ablehnt, verliert ihren zivilisatorischen Kern. Darüber müssen wir reden.
0 Kommentare
Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.