Suizid ist keine Privatsache. Warum das Christentum Selbsttötungen kritisch sieht.
Die Hintergründe von Selbsttötungen sind vielfältig, und eigentlich
immer bleiben andere zurück, die dadurch schwer belastet sind:
Angehörige, Freunde, Nachbarinnen. Selbst wenn der Suizid die Folge
einer unheilbaren Krankheit ist, bleibt ihnen – ganz abgesehen von der
Trauer – die letztlich nicht beantwortbare Frage, ob sie genug
getröstet, ernstgenommen und sich eingesetzt haben.
Erst recht wenn die Umstände der Selbsttötung demonstrativ anklagen, sind die Hinterbliebenen schuldig gestempelt ohne Möglichkeit der Relativierung oder Vergebung. Und wenn die Motive im Dunkeln bleiben und die Angehörigen gar nicht wissen, was sie anders und besser hätten machen können, verursacht das irritierende Selbstzweifel.
Niemand kann so abgebrüht sein, dass ein Suizid ihn kalt lässt
Aber auch die Feuerwehrleute, Polizistinnen, Sanitäter und Ärztinnen bis hin zu den Bestattern sind in Mitleidenschaft gezogen. So abgebrüht können sie gar nicht sein, dass ein Suizid sie kalt lässt. Selbst wenn alle Umstände einer Selbsttötung klar sind, ist sie nie wirklich abgeschlossen. Es bleiben unverstandene und unverarbeitete Reste, mit denen sich schwer leben lässt, und die daher nicht selten in der Erinnerung verkapselt und totgeschwiegen werden.
Natürlich ist das alles für eine absolut verzweifelte Person kein Grund, sich die Absicht der Selbsttötung noch einmal zu überlegen. Aber es macht deutlich, dass es objektiv betrachtet alles andere als „Privatsache” ist, wenn man sich umbringt. Deshalb sehen viele Kulturen in einer Selbsttötung etwas Verkehrtes, oder, religiös gesprochen, eine Sünde: Sie beschädigt unvermeidlich nicht nur das eigene Leben, sondern auch das anderer.
Nach jüdisch-christlicher Auffassung ist jedes Töten verboten
Nach jüdisch-christlicher Auffassung kommt das Leben von Gott, es gehört Gott und nur Gott darf es wieder nehmen. Damit ist nicht nur negativ gemeint, dass jedes Töten verboten ist, also auch die Todesstrafe oder die Selbsttötung. Vor allem ist es positiv gemeint: als Gebot, dass alle sich einsetzen sollen, das Leben aller zu schützen und zu bewahren. Wenn Töten keine Option ist, müssen alle Optionen des Lebens so weit als irgend möglich ausgelotet werden. Das heißt zum Beispiel, Schmerzpatienten ein Recht auf Palliativbehandlung zu geben, psychisch Leidenden eine teure Therapie zu ermöglichen, die vermeintliche Unzumutbarkeit des Weiterlebens frühzeitig zu besprechen – immer mit dem Ziel, den Weg in die Alternativlosigkeit zu verhindern.
Wo das Tötungsverbot aufgeweicht wird, lauert die Gefahr, dass sich die Gesellschaft mehr oder weniger stillschweigend „problematischer“ Menschen entledigt, im Zweifelsfall durch passives Vorenthalten von Hilfe oder durch Alleinelassen.