„Schöne Worte reichen nicht, wir müssen auch konsequent handeln“
Frau Bode, was ist eine „Faire Gemeinde“?
So heißt eine Aktion der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau, die über das Zentrum Ökumene organisiert wird. Gemeinden, die daran teilnehmen, verpflichten sich, bestimmte Nachhaltigkeitsziele konsequent umzusetzen. Mülltrennung etwa ist heute eigentlich selbstverständlich, aber in so einem Gemeindebetrieb wie unserem muss man darauf achten, dass das auch wirklich jeden Tag geschieht.
Wozu haben Sie sich noch verpflichtet?
Dazu, im Büro ausschließlich recyceltes Papier zu benutzen. Unser Kirchenbote erscheint nicht mehr auf Hochglanzpapier, unsere Aushang-Plakate drucken wir nur noch auf umweltfreundlichem Papier und in umweltfreundlicher Farbe. Auch unser neuer Drucker arbeitet nachhaltiger. Im Übrigen braucht man auch nicht für jede kleine Aktion einen neuen Flyer – man muss immer überlegen, was man wiederverwenden kann, was wirklich sinnvoll ist. Außerdem kommt der Blumenschmuck auf dem Altar bei uns nur noch aus der Umgebung und ist saisonal – dafür haben wir den Blumenladen gewechselt. Oft bekommen wir sogar Blumen aus dem Garten eines Kirchenvorstandmitglieds. Das sieht immer toll aus. Es muss auch gar nicht immer so üppig sein.
Und in der Küche?
Da gibt es nur noch Flaschen aus Glas sowie Kaffee und Tee aus fairem Handel. Dass wir den Eine-Welt-Handel unterstützen, hat in der Paul-Gerhardt-Gemeinde ohnehin eine lange Tradition. Jeden zweiten Sonntag im Monat nach dem Gottesdienst schließt unser Gemeindemitglied Robert Gilcher den Paul-Gerhardt-Kiosk mit nachhaltigen Erzeugnissen auf dem Platz vor der Kirche in der Gerauer Straße 52 auf – ein ehrenamtliches Engagement. Vor Corona war das immer mit einem Kirchencafé verknüpft, das soll auch wieder so werden.
Wird die Fairness bei dieser Aktion auch überprüft?
Nach der ersten Selbstverpflichtung erhält man das Prädikat „faire Gemeinde“ und bekommt eine Plakette. Aber nach zwei Jahren muss man sich nachzertifizieren lassen. Dann muss auch der nächste Schritt folgen. Ich möchte jetzt noch konsequenter auf bewusstes Essen setzen: Wir haben hier eine große Küche, in der viel gekocht wird. Da steht dann schnell mal eine Tüte Zucker, die nicht fair hergestellt wurde oder Milch, die alles andere als Bio ist. Das soll sich ändern.
Nachhaltige Lebensmittel sind aber meist teurer, oder?
Diesem Vorurteil begegne ich oft. Ich würde sagen, bewusst zu essen, ist etwas komplizierter, weil man nicht einfach den Wagen im Supermarkt vollladen kann. Ich versuche, die Ehrenamtlichen unserer Kochteams für Nachhaltigkeit zu gewinnen.
Warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?
Wir haben als Kirche eine Verantwortung für die Welt, für die Schöpfung. Aber schöne Worte reichen nicht, wir müssen auch konsequent handeln. Es geht nicht nur um das Essen in unserer Gemeindeküche, sondern um Bewusstsein. Da kann man viel bewirken.
Wie denn zum Beispiel?
Mit Konfirmanden und Konfirmandinnen haben ich schon eine Woche lang den Plastikmüll gesammelt, den sie selbst produzieren, und dann überlegt, was man anders machen kann. Im Kindergarten haben wir über Kinderarbeit gesprochen, auch mit den Eltern – zum Beispiel darüber, dass in vielen Ländern Kindersklaven die Kakaobohnen ernten müssen, die unsere Kinder und wir dann als Schokolade essen ohne uns darüber Gedanken zu machen. Ich finde es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten, ohne erhobenen Zeigefinger, aber auch ohne falsche Scham. In meiner alten Gemeinde in Glashütten haben wir jedes Jahr über ein nachhaltiges und soziales Produkt informiert, auch aus Europa. Zum Beispiel über die so genannten „Anti-Mafianudeln“: Mit ihrem Kauf konnte man Bauern in Sizilien unterstützen, damit sie aus den Fängen der Mafia rauskommen. Man kann auch ganz einfach bei uns vor Ort öfters Mal Müllsammelaktionen starten oder andere Mitmachprojekt zum Thema Nachhaltigkeit. Ich finde, es passiert immer noch viel zu wenig, auch in der Kirche.
Inwiefern?
Unsere Landeskirche gibt keine verbindlichen Regeln heraus, sondern formuliert nur Nachhaltigkeitsziele. Jede Gemeinde ist letztlich autark, was das angeht. In der Praxis heißt das, die eine Pfarrerin agiert bewusster als der andere – wie im Schnitt die Bevölkerung schätze ich. Stattdessen sollten wir Vorbild sein. Ich möchte andere auf diesem Weg mitnehmen. Im Sinne des Schöpfungsauftrags dürfen wir nicht schweigen, auch wenn Menschen mal irritiert sind oder sogar ärgerlich werden.
Bestimmt nicht ganz einfach.
Nein, und ich habe auch gelernt, dass ich nicht ständig auf das Thema hinweisen darf, zum Beispiel bei den Kochteams. Ich will ja auch keine schlechte Laune verbreiten. Lieber denke ich darüber nach, wie ich dafür sorgen kann, dass hier in Zukunft strukturell etwas anders läuft. Aber manchmal muss man auch schon den Mund aufmachen. Als ich vor drei Jahren hier in die Gemeinde kam, wurde noch jeder Blumenstrauß in Folie überreicht. Das sieht ja gut aus, aber so eine Folie braucht hundert Jahre, bis sie abgebaut ist, während der Strauß nach einer Woche verwelkt. Das steht doch in keinem Verhältnis!
Wer unterstützt Sie in der Gemeinde?
Vor Corona haben wir gerade eine Faire Gemeinde-Gruppe gegründet, da sind zehn Leute aktiv. Sie hatten gerade die erste Kleidertauschbörse organisiert, die dann leider nicht stattfinden konnte. Aber Kleidung und Wiederverwendung ist auch so ein Thema. Ich hoffe, dass bald wieder mehr stattfinden kann.
Wie reagieren Jugendliche auf das Thema?
Sie sind auf jeden Fall oft umweltbewusster als die älteren Generationen und auch bereit, sich zu engagieren. Wenn man ohne erhobenen Zeigefinger mit ihnen arbeitet. Es geht um Information und das Zeigen von Alternativen. Heute ist schon so viel für die jungen Leute vorgefertigt, aber Jugendliche wollen ihre Welt mitgestalten. Das, die Welt gestalten, das heißt für mich, Christin sein, Glauben zu leben. Zurzeit suche ich Paten und Patinnen für ein neues Urban-Gardening-Projekt auf unserem Kirchplatz. Ich hoffe, dass sich Eltern, Kinder und Jugendliche engagieren.