„Das ist eine neue Qualität von Armut“
Frau Walter, was bedeutet Armut von Kindern und Jugendlichen in Frankfurt?
Was wir in unseren Einrichtungen deutlich feststellen, und das schon seit einigen Jahren, ist, dass wir in ganz bestimmten Sozialräumen immer stärker mit Armut von Kindern und Jugendlichen konfrontiert werden. Das Problem ist sichtbarer geworden und seit der Corona-Pandemie hat sich die Lage deutlich verschärft.
Mit dem Krieg in der Ukraine und den damit gestiegenen Preisen für Lebensmittel und denen für den Lebensunterhalt an sich, hat sich die Lage nochmal zugespitzt. Die Lebenssituation vieler Familien hat sich verschlechtert. Derer, die im Bürgergeldbezug sind, aber auch derer, und das ist auffällig, die knapp über den Einkommensgrenzen sind. Wir zählen mehr Familien, die in angespannten Lebenssituationen sind.
Bemerkbar macht sich das durch die neue Qualität von Armut. Deutlich mehr Kinder und Jugendliche sind nicht ausreichend mit Essen versorgt. Übrigens war das auch ein Grund dafür, warum wir so vehement für die Aufstockung der finanziellen Mittel in der offenen Kinder- und Jugendarbeit gekämpft haben. Nur so können wir den „Pädagogischen Mittagstisch“ in unseren Einrichtungen gewährleisten. Dieses Mittagessen ist für viele die erste Mahlzeit am Tag.
Weiter beobachten wir, dass immer mehr Kinder nicht der Witterung entsprechend gekleidet sind. Und ein weiteres, überaus großes Problem sind die Kosten für die Schulmaterialien. Das wird einfach so zu jedem Schuljahresbeginn vorausgesetzt. Für viele Familien ist das eine finanzielle Katastrophe. Sie können ihre Kinder nicht mit den nötigen Heften, Stiften, Arbeitsmaterialien ausstatten.
Was genau ist die Idee der Frankfurter Armutskonferenz?
Auch wenn die Konferenz am Ende noch keine konkreten Verabredungen verabschiedet hat, war es richtig und wichtig, sie jetzt abzuhalten. Stadträtin Elke Voitl benennt klar, dass es diese Grundlagenarbeit zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut braucht. In einem ersten Schritt ist es immer hilfreich aufzuzeigen, wo genau die Probleme im Detail stecken, um im nächsten Schritt an möglichen Lösungsstrategien zu arbeiten. Außerdem war die Konferenz ein wirksames Mittel, um auch politische Mehrheiten hinter sich zu vereinen. Das wird dann ausschlaggebend sein, wenn das Dezernat für Soziales, Jugend, Familie und Senior:innen finanzielle Mittel für die Armutsbekämpfung von Kindern und Jugendlichen beantragt. Klar ist nämlich, und das hat diese Konferenz gezeigt: Armut ist ein Problem, das das Sozialdezernat allein nicht lösen wird.
Außerdem hat die Armutskonferenz nochmal sehr deutlich gemacht, dass Armut kein rein finanzielles Problem ist. Armut ist ein strukturelles Problem und hat seine Ursachen in ganz vielfältigen Bereichen: bezahlbarer Wohnraum, gesundheitlicher Vulnerabilität, Chancenungleichheit, Bildungsungerechtigkeit. Armut ist vielschichtig und komplex. Der Ansatz von Voitl und ihrem Team, das Frankfurter Armutsproblem dezernatsübergreifend anpacken zu wollen, ist richtig. Armutsbekämpfung ist eine gesamtstädtische Aufgabe und eine, die die gesamte Stadtgesellschaft etwas angeht.
Was bedeutet das konkret, was sind die Hebel zur Armutsbekämpfung?
Ich selbst kann nur für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sprechen. In unseren offenen Einrichtungen für Kinder, insbesondere aber in unseren Betreuungsangeboten an ganztägig arbeitenden Grundschulen, ist zukünftig die Qualität der Angebote für Kinder zentral. Hier verbringen die Kids viel Zeit, und wir als Verein gestalten in Kooperation mit den Schulen an den Standorten, an denen wir tätig sind, diese Angebote im Ganztag. Das ermöglicht unseren Fachkräften, Chancengerechtigkeit in ihre täglichen Tätigkeiten einzubeziehen.. Die Kosten für die Ganztagsbetreuung an den Schulen übernimmt in Frankfurt zum einen das Land Hessen und zum anderen die Kommune. Mit dem Landesbudget ist die reine Betreuung der Kinder gesichert. Eine qualitative pädagogische Arbeit allerdings, die sich Bildungs- und Chancengerechtigkeit auf die Fahne schreibt, muss kommunal finanziert werden. Dabei könnte es um Sprachförderung gehen, um die Entwicklung von Lernstrategien oder um eine gezielte Förderung in bestimmten Fächern. Bildung darf einfach keine Frage von vorhandenen finanziellen Ressourcen sein. Unser Ziel muss es sein, dass jedes Kind in der Lage ist zu lesen, zu schreiben und zu rechnen, wenn es schließlich die Schule abschließt. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Zusätzlichen wollen wir die Kinder und Jugendlichen in umfassender Weise in politischer, kultureller und sozialer Bildung befähigen. Dazu gehören umfangreiche Angebote und kompetente und gut qualifizierte Fachkräfte.
Nur dann können Jugendliche einen Ausbildungsplatz finden, der es ihnen erlaubt, aus der Armutsspirale ihrer Familie zu entkommen. In Armut aufzuwachsen ist nämlich ein Teufelskreis.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Stadt Frankfurt ist grundsätzlich auf einem guten Weg. Die Ausstattung mit Ressourcen ist passabel. Vorhandenes muss sinnvoll eingesetzt werden. Ohne weitere Lobbyarbeit auch in den kommenden Jahren werden wir allerdings nicht auskommen. Und deswegen ist das Bündnis gegen Kinder- und Jugendarmut so wichtig. Kinder und Jugendliche werden nur so mit all ihren Bedürfnissen in den Fokus gerückt. Die ausgestellten Lebenslagenkarten auf der Armutskonferenz haben klar und deutlich gezeigt, welchen Stadtteilen oder Sozialräumen in Frankfurt besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Dabei dürfen die anderen aber nicht aus dem Blickfeld geraten.
An vielen Schulen oder Einrichtungen kämpfen wir außerdem mit dem Problem von Stigmatisierung armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher. Hier müssen wir sensibler werden. Die Gründe für die Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen liegen häufig im Hilfesystem selbst. Die weit verbreitete Bürokratisierung erschwert es Familien häufig, ihren Kindern eine angemessene Betreuung oder Teilhabe zu gewähren.
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