Dietrich Bonhoeffer und der Widerstand: Kein reines Gewissen
Darf ein Christ Mord gutheißen, sich sogar an Attentaten beteiligen? Natürlich nicht, lautete auch die Antwort von Dietrich Bonhoeffer – aber trotzdem kann es manchmal notwendig sein. Zum Beispiel, wenn man es mit Leuten wie Adolf Hitler zu tun hat. „Wer hält stand?“ fragte Bonhoeffer an der Wende zum Jahr 1943: „Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist.“
Bonhoeffer kam angesichts des Nazi-Terrors zu der Überzeugung, dass ein Christ im Gehorsam gegen Gott und die Wahrheit gezwungen sein kann, nicht nur gegen die Gesetze, sondern auch gegen die Moral und die biblischen Gebote zu verstoßen – eine wahrhaft steile These. Rechtfertigt also für Bonhoeffer der Zweck die Mittel? Ja und nein: „Es ist zwar nicht wahr, dass der Erfolg auch die böse Tat und die verwerflichen Mittel rechtfertigt, aber ebenso wenig ist es möglich, den Erfolg als etwas ethisch völlig Neutrales zu betrachten.“
Das Besondere an Bonhoeffers Theologie ist ihre Komplexität. Seine Ethik beinhaltet vor allem den Mut zur persönlichen Entscheidung und zum Dilemma: „Civilcourage kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.“
Als Bonhoeffer selbst sich zum Handeln entschloss, hatte er sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht. Er unterstützte den militärischen Widerstand gegen Hitler, bei dem sein Schwager Hans von Dohnanyi eine zentrale Rolle spielte und der im Juli 1944 zu einem missglückten Attentat auf Hitler führte. Zu diesem Zeitpunkt war Bonhoeffer bereits im Gefängnis. Bei der Verfolgung der Attentäter wurden aber Dokumente gefunden, die seine Beteiligung bewiesen und schließlich zum Todesurteil führten.
In der Haft führte Bonhoeffer seine Überlegungen weiter. Immer unbefriedigender fand er es, Gott als „Lückenbüßer“ für das zu verstehen, was den Verstand übersteigt, oder als „Scheinlösung für unlösbare Probleme“ wie etwa das Leben nach dem Tod. Solche religiösen Anliegen, das Jenseitige zu erklären, hielt Bonhoeffer für unangemessen: „Das Jenseits Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig“, glaubte er und nannte das: „religionsloses Christentum“.
Es wäre
interessant gewesen, wie Bonhoeffer nach dem Krieg diese Theologie
weiterentwickelt hätte, wäre er nicht getötet worden. Anfangs galt der
Widerständler jedenfalls nicht als Märtyrer oder gar als „evangelischer
Heiliger“ wie heute. Er war ja nicht – wie viele andere – ermordet worden, weil
er treu zum Glauben stand, sondern weil er aktiv gegen das Regime gearbeitet
hatte. Vom politischen Widerstand aber hat sich die evangelische Kirche bis in
die neunziger Jahre hinein distanziert.
Doch auch Bonhoeffer selbst sah sich nicht als unschuldiges Opfer, im
Gegenteil. Er wusste, dass er schuldig war – und zwar nicht nur dem Gesetz
nach, sondern auch vor Gott. Aber er lebte nun einmal in Zeiten, in denen es
nicht möglich war, als frommer Christ unschuldig zu bleiben.