Assistierter Suizid: Noch sind viele Fragen offen
Ulrike Reinholz begleitet als Leiterin der Abteilung Palliativmedizin am Universitätsklinikum Mainz tagtäglich Menschen am Ende ihres Lebens. Die palliative Betreuung sieht sie als „Alternativangebot zum Suizid“. Denn sie sei auf ihrer Station „ziemlich selten“ mit Wünschen zum assistierten Suizid konfrontiert. Ihre Erklärung: „Hier wird alles dafür getan, dass sich die Menschen gut aufgehoben fühlen.“
Reinholz berichtete auf Einladung der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau bei einer Online-Veranstaltung zum Thema von ihren Erfahrungen. Tatsächlich höre sie eher von zu Hause betreuten Patient:innen Äußerungen nach dem Motto: „Wenn ich weiß, ich halte es nicht mehr aus, an wen kann ich mich dann wenden?“
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ja nur ein Urteil und keine neue Gesetzgebung. Zugänglich ist der Weg zum assistierten Suizid damit noch nicht. Was hingegen vorkomme sei die „palliative Sedierung“. Dann werden die lebensverlängernden Maßnahmen bei starker Schmerzmedikation abgeschaltet.
Die Zustimmung zum Abschalten der Geräte zu geben, sei eine Entscheidung, die Angehörigen extrem schwer falle, weiß Trauerseelsorgerin Tabitha Oehler. „Vor allem, wenn sie nicht wissen, was der Betroffene wünscht oder sie etwa nach einem Unfall sehr schnell reagieren müssen.“ Sie rät deshalb, eine Patientenverfügung zu hinterlegen.
Erschwert werde der Prozess auch dadurch, dass mit dem Tod nur selten offen umgegangen werde. „Natürlich ist der Tod immer eine Ungeheuerlichkeit. Wenn man sich damit auseinandersetzt, verliert er jedoch einen Teil seines Schreckens“, sagt Tabitha Oehler. Auch Ärztinnen und Ärzte sollten offen sagen, wenn es bald zu Ende geht.
Selbst im Bereich Pflege seien Tod und Sterben erstaunlich selten Thema, bestätigte die theologische Referentin des Zentrums für Gesundheitsethik Hannover, Dorothee Arnold-Krüger. Mit Blick auf das Urteil von 2020 hält sie es für notwendig, ein staatliches Schutzkonzept zu entwickeln: „Um Missbrauch zu verhindern, muss man zum Beispiel die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches prüfen.“
Aus theologischer Perspektive zeichnen sich für sie zwei Argumentationslinien ab: „Das Leben ist unantastbar und heilig“ stehe „Selbstbestimmung muss gewahrt bleiben“ gegenüber. Vor dem Hintergrund dieser divergierenden Ansichten, habe das Zentrum für Gesundheitsethik die Studie „Seelsorge und assistierter Suizid“ auf den Weg gebracht. Ziel sei gewesen, die Erfahrungen und Einstellungen der Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Landeskirche Hannover zu erkunden.
Den bereits abgeschlossenen Studienteilen kann Dorothee Arnold-Krüger bereits einiges entnehmen: den Wunsch nach einem klaren rechtlichen Rahmen, nach öffentlichen Diskursen und einer kirchlichen Positionierung, die Orientierung gibt. Seelsorger:innen bewegten sich in einem Dilemma „zwischen existentiellem Einzelfall und Gemeingültigkeit“.
Die Vorsitzende des Nationalen Suizidpräventionsprogramms, Barbara Schneider, verweist auf Zahlen, wonach in Ländern, die bereits Regelungen für assistierten Suizit haben, mehr Frauen als Männer diese Möglichkeit in Anspruch nehmen. Für den Suizid generell würden sich dagegen mehrheitlich Männer entscheiden: „Der typische Suizident ist der weiße, depressive alkoholabhängige Mann über 60.“ Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie bedauert, dass deutlich weniger Männer als Frauen die Präventionsangebote nutzen. Das gleiche gelte für Suchtbehandlungen
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