Aktiv gegen einsame Bestattungen
Ihre Bestattung hatte die über 90-Jährige bereits selbst geregelt. Das Begräbnis sollte auf dem Frankfurter Hauptfriedhof erfolgen, davor eine Andacht in der Trauerhalle, begleitet von Orgelmusik. Nach ihrem Tod brachte die beauftragte Pietät alle Anweisungen auf den Weg. Da die Dame der Dreikönigsgemeinde angehörte, war Silke Alves-Christe mit der Beisetzung betraut. Die wurde für die Pfarrerin zur einschneidenden Erfahrung. In der Trauerhalle habe der geschmückte Sarg gestanden und die Organistin gespielt, doch seien weder Angehörige noch Freunde zugegen gewesen. „Die einzige Person zu sein hat mich so bestürzt, dass ich nichts sagen, sondern nur weinen konnte.“
Als sie einige Monate später ein ähnliches Szenario erlebte, dachte Silke Alves-Christe: „Da muss man doch etwas machen.“ Im „Gemeindeblick“ schilderte sie die unwürdige Situation und appellierte: „Es wäre ein wertvoller Dienst, einsam gewordene Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten, vielleicht eine Blume in ihr Grab zu werfen und zusammen mit Pfarrerin oder Pfarrer das Vater Unser zu beten“. Die Resonanz war größer als sie erwartete. 15 Personen sorgen dafür, dass es in der Dreikönigsgemeinde seit zwei Jahren keine einsamen Bestattungen mehr gibt.
Heike Lauer hat sich gemeldet, weil sie nicht wusste, dass es solche Beisetzungen gibt und nach dem Aufruf der Pfarrerin „richtig erschüttert“ war. „Es hat mich sehr beschäftigt, wie es sein kann, dass ein Mensch niemanden mehr kennt.“ Sie sei in einer dörflichen Umgebung aufgewachsen und habe Trauergesellschaften immer als tröstlich erlebt. Wie etwa beim Tod ihrer Mutter, an dem viele Leute Anteil nahmen. „Der Trost der Gemeinschaft war ein schöner Abschluss“, steht für die 58-Jährige trotz des schmerzlichen Verlustes fest.
Ohne die Anwesenheit der Ehrenamtlichen wären die jährlich zwei bis drei Beisetzungen von vereinsamt Verstorbenen bloße Routineakte, weiß Silke Alves-Christe. In der Regel handle es sich um Sozialbestattungen, bei denen die Stadt aus Kostengründen ein Urnenbegräbnis ohne Trauerandacht anberaumt. Sie könne sich noch gut erinnern, wie erstaunt die Friedhofsbediensteten waren, als sie in einem solchen Fall trotz Regen, Kälte und matschiger Wege zum Grab mitkommen wollte. Einer sei dann immerhin mit einem Holzkreuz vorangegangen. „So konnte ich auf das Kreuz schauen und wusste unseren erbärmlichen Trauerzug mit Jesus Christus verbunden.“
„Verstorbene darf man doch nicht einfach nur verbuddeln“, finden auch Helga und Siegfried Kairies. Genau das haben sie bei einem Friedhofsbesuch aber einmal beobachten müssen. „Da sind zwei Männer mit Schaufel und Urne plaudernd zum Grab gegangen, haben das Gefäß in der Erde versenkt, das Loch zugeschüttet und sind wieder umgekehrt. Sie sahen aus wie Gärtner.“ Nach dem Artikel der Pfarrerin hat sich das im Ruhestand befindliche Ehepaar daher für den ehrenamtlichen Dienst gemeldet. Zwei Mal standen sie bislang am Grab einer ihnen unbekannten Person und waren verwundert, dennoch echte Trauer zu spüren. „Beisetzungen sind eben immer besondere Momente“, erklärt sich Siegfried Kairies das Mitempfinden. „Es ist die Erinnerung, dass wir alle sterblich sind.“
Verstorbene würdevoll zu bestatten ist für Silke Alves-Christe eine wichtige Aufgabe der Kirche. Darauf hätten bereits die urchristlichen Gemeinschaften in Rom großen Wert gelegt. In ihrem Heimatort im Vogelsberg gelte bis heute die strenge Regel: „Bei Beerdigungen geht aus jedem Haus jemand mit.“ Umso mehr lag es der Pfarrerin am Herzen, dass in ihrem Wirkungsfeld auch in einer Großstadt wie Frankfurt jeder Mensch auf seinem letzten Weg begleitet wird. Auch in den vier Seniorenheimen ihres Pfarrbezirks brachte sie das Thema zur Sprache, wo man ihre Initiative begrüßte. Die Pfarrerin rechnet es den Heimleitungen hoch an, dass sie seither zwei bis drei Mitarbeitende zur Beisetzung verstorbener Bewohner ohne Angehörigen schicken.
Bei einer Fortbildung des Dekanats Süd-Ost zum Thema Bestattungskultur stellte Silke Alves-Christe das Projekt ebenfalls vor, vielleicht macht es ja in anderen Gemeinden Schule. Zumal davon auszugehen ist, dass angesichts wachsender Single-Haushalte in Zukunft noch mehr Menschen vereinsamt sterben werden. Kirchengemeinden seien schließlich auch soziale Gemeinschaften, in denen sich Menschen umeinander kümmern. „Wer in der Dreiköniggemeinde zum Beispiel den Seniorenkreis besucht, kann auch ohne Angehörige sicher sein, nicht einsam beerdigt zu werden.“
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