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Luthergemeinde bittet zu Tisch

Ehrenamtliche der Kirchengemeinde und Foodsaver:innen verarbeiten beim gemeinsamen Kochabend in der Luthergemeinde gerettete Lebensmittel zu leckeren Speisen und laden Stadtteilbewohner:innen zum Essen ein.

Das vielfältige Bufet begeistert die Gäste beim Kochabend der Luthergemeinde in Kooperation mit dem Verein Foodsharing. / Foto: Rolf Oeser
Das vielfältige Bufet begeistert die Gäste beim Kochabend der Luthergemeinde in Kooperation mit dem Verein Foodsharing. / Foto: Rolf Oeser

Auf dem Buffet häufen sich die Köstlichkeiten und stellen vor die Qual der Wahl. Das Küchenteam hat aus geretteten Lebensmitteln allerlei Delikatessen gezaubert und dabei viel kulinarisches Geschick bewiesen. Dieses Mal dominierten bei den Zutaten nämlich Brötchen und Brot. Die fanden sich in leckeren Semmelknödeln, einer würzigen Brot-Gemüse-Suppe, knusprigen Croûtons und Bruschetta wieder – begleitet von einer riesigen Schüssel mit buntem Salat. Für verlockende Desserts sorgten die Köchinnen und Köche natürlich auch. Den Hefezopf haben sie in einen vorzüglich schmeckenden Kirschkuchen, die Früchte in Smoothies und Obstsalat verwandelt.

Um den achtsamen Umgang mit den Gaben der Erde zu unterstützen lädt die Luthergemeinde in Kooperation mit dem sozialdiakonischen Verein der Luthergemeinde „Hilfe im Nordend“ (HIN) und dem Verein „foodsharing Frankfurt am Main einmal im Quartal zum gemeinsamen Essen und Kochen ein. Zubereitet und verspeist werden Lebensmittel die vor der Abfalltonne bewahrt worden sind. Das Projekt begreift Pfarrer Stephan Rost nicht nur in Sachen Ökologie und Nachhaltigkeit als wichtiges Zeichen. Von der „Bewahrung der Schöpfung über Verteilungsgerechtigkeit bis zur Tischgemeinschaft“ setze es auch genuin christlichen Anliegen um. Auf die Gemeinschaft am Tisch habe Jesus großen Wert gelegt und stets ganz unterschiedliche Menschen um sich versammelt. „Auch sozial Geächtete, Sünder und Frauen waren oft bei ihm zu Gast.“

Zur Freude von Stephan Rost teilt sich auch bei den Foodsharing-Abenden immer eine bunt gemischte Runde die große Tafel im Gemeindesaal. Die wenigsten der durchschnittlich 40 bis 50 Personen gehören zu den üblichen Gottesdienstbesucher*innen. „Es gibt eine Reihe von Stammgästen aus der Gemeinde und dem Foodsharing-Verein, jedes Mal kommen aber auch viele Stadtteilbewohner*innen, die ich nicht kenne. Durch Plakate an der Kirche, in den umliegenden Geschäften verteilte Handzettel und über die Plattform nebenan.de haben sie von den Essen erfahren.“ Die in lockerer Atmosphäre beim Schnippeln oder am Tisch entstehenden Gespräche schätzt der Pfarrer sehr. „Sie sind oft intensiv und drehen sich vor allem um Lebens- und Glaubensthemen. Beim Kochen hat eine ältere Frau sogar schon mit mir über ihre Beerdigung geredet.“ Die Abende erachtet Stephan Rost in vielerlei Hinsicht als Gewinn. Sie stellen sich der Nahrungsverschwendung entgegen, setzen christliche Werte um und stärken das Gemeinschaftsgefühl.

Das vor zwei Jahren gestartete Projekt ist vor allem Eva Douma zu verdanken. Beruflich als Coach und Organisationsentwicklerin tätig ist sie der Luthergemeinde seit über 20 Jahren verbunden und seit zehn Jahren bei den Foodsharer*innen aktiv. Als der Kirchenvorstand über eine öffentlichkeitswirksame Nutzung der Kirche diskutierte, schlug sie das Kochen und Essen von geretteten Lebensmitteln vor. Die Idee wurde allseits begrüßt. Zumal sie dem Leitbild der Luthergemeinde „Die offene Tür“ entspricht und die Räumlichkeiten geradezu maßgeschneidert sind. Die auch Lutherbistro genannte Küche im Glasanbau verbindet gewissermaßen den öffentlichen Martin-Luther-Platz und den Gemeindesaal.

Nach dem KV-Entscheid nahm Eva Douma die Umsetzung in die Hand und organisiert bis heute mit Stephan Rost die Abende. Sie nimmt die Lieferung der Foodsharer*innen entgegen, schaut alles durch und sortiert wenn nötig Sachen aus. „Es ist meisten Gemüse und Obst, Fleisch nur sehr selten und Fisch gab es noch nie.“ Am nächsten Tag überlegt sie was sich aus den Zutaten kochen lässt und sucht nach passenden Rezepten. Gegen 18 Uhr trudeln dann die Leute des Küchenteams ein. „Weil das Kochen so beliebt ist haben wir die Gruppe auf zehn Personen begrenzen müssen. Mehr finden an den Arbeitsflächen auch gar keinen Platz.“

Zwei Stunden später stehen die Speisen auf dem Buffet und die Gäste Schlange. Anna-Maria sitzt mit gefülltem Teller bereits am Tisch und lobt das „tolle Essen“. Sie habe im Gemeindeblatt über das Projekt gelesen und komme schon seit einer ganzen Weile . „Es ist furchtbar, dass heute so viele Lebensmittel weggeworfen werden“, findet die Seniorin und ist „froh, dass es Foodsharer*innen gibt“. Das unterhaltsame Beisammensein genießt sie ebenfalls. „Ich habe hier schon einige Leute kennengelernt und mich mit ihnen getroffen.“ Monica Brunati ist fast von Anfang an dabei und bedauert, dass noch immer ein Missverständnis bezüglich Lebensmittelrettung kursiert. „Foodsharing ist keine Konkurrenz zur Tafel“, stellt die Betriebsverantwortliche für den Frankfurter foodsharing-Verein klar. „Die Tafeln erhalten von den Supermärkten noch verkäufliche Waren als Spende. Die Foodsharer*innen holen dagegen Nahrungsmittel ab, die niemand mehr will. Das sind vor allem Gemüse und Obst mit Blessuren oder Produkte mit abgelaufener Mindesthaltbarkeit. Die zwei Frankfurter Tafeln rufen uns sogar an, wenn sie in ihren Lagern Abgelaufenes entdecken, weil sie das nicht ausgeben dürfen.“ Der Frankfurter Verein Foodsharing kooperiert diesbezüglich aktuell mit insgesamt 132 Betrieben.

Eva Douma und Stephan Rost sind vermutlich nicht die einzigen die eine Ausweitung der Foodsharing-Abende begrüßen würden. „Die Räume in der Lutherkirche sind sehr begehrt, daher haben wir uns auf einmal pro Quartal beschränkt“, erklärt der Pfarrer. Im nächsten Jahr könnte die Frequenz zumindest in den warmen Jahreszeiten steigen. Dann sind die Renovierungsarbeiten beendet und kein Gerüst mehr an der Kirchenfront. Eva Douma träumt bereits von einem „großen Gelage auf dem Martin Luther-Platz“. Das wäre ganz im Sinne von Stephan Rost. „Bei steigenden Temperaturen ist der Platz immer gut bevölkert und wir würden noch mehr Menschen erreichen.“ In dieser Hinsicht berät auch der Kirchenvorstand gegenwärtig über zwei Projekte: freitagabends das Lutherbistro als „Ansprech-Bar“ mit Getränkeausschank zu öffnen sowie einen „Fairteiler“-Kühlschrank vor der Kirche aufzustellen. Dort überzählige Lebensmittel zu deponieren die von anderen entnommen werden können sei allerdings mit unzähligen Auflagen verbunden. Insgesamt ist Stephan Rost froh, dass die Gemeinde mit den Foodsharing-Abenden und regelmäßigen Kleidertauschaktionen bereits etwas gegen die immer maßloser werdende Verschwendung tut. „Wir retten damit nicht die Welt, tragen aber ein wenig zur Bewusstseinsbildung bei.“

Weitere Infos:

http://www.luthergemeinde-frankfurt.de

https://foodsharingfrankfurt.org/

https://www.instagram.com/foodsharing.frankfurt/

Hintergrundinfo

Für die Tonne? Dort landen jedenfalls haufenweise noch verwertbare Lebensmittel in Deutschland. / Foto: Rolf Oeser
Für die Tonne? Dort landen jedenfalls haufenweise noch verwertbare Lebensmittel in Deutschland. / Foto: Rolf Oeser

Das gigantische Ausmaß der globalen Nahrungsverschwendung und die fatalen Konsequenzen für Klima, Böden und Ressourcen führte Regisseur Valentin Thurn 2011 mit seinem Film „Taste the Waste“ vor Augen. Von den gewonnenen Einblicken zutiefst schockiert beließ er es nicht bei dem Kinofilm und seinem Buch „Die Essensvernichter“. Er gründete mit Gleichgesinnten den gemeinnützigen Verein FOODSHARING e. V., der seit Dezember 2012 eine Online-Plattform betreibt. Die „Internetbörse fürs Essenteilen“ folgt einem denkbar einfachen Prinzip: Nach Städten geordnet, bieten Privatpersonen, Händler oder Produzenten überschüssige Nahrungsmittel an, die sich jeder kostenlos abholen kann. Seit 2014 ist auch Frankfurt dabei. Der hiesige foodsharing-Verein hat in der Mainmetropole seither 2,66 Millionen Kilogramm Lebensmittel erfolgreich vor der Tonne gerettet und kooperiert inzwischen mit fast 16.000 ortsansässigen Betrieben.

Wie der World Wildlife Fund Deutschland (WWF) in seiner Studie „Das große Wegschmeißen“ dokumentiert, landen hierzulande jährlich acht Millionen Tonnen Lebensmittel auf der Abfallhalde. Durch einen bewussteren Umgang seitens Hersteller, Betriebe und Privatpersonen würden sich mehr als die Hälfte der verschwendeten Nahrung vermeiden lassen.

Auf der Website www.foodsharing.de sind zahlreiche Informationen über die Hintergründe und das Ausmaß der globalen und bundesweiten Lebensmittelvergeudung zu finden.


Autorin

Doris Stickler 77 Artikel

Doris Stickler ist freie Journalistin in Frankfurt.