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Versuch, das unfassbar Schreckliche in Worte zu fassen

Pfarrerin Jutta Jekel von der Hoffnungsgemeinde sprach gestern Abend bei der Trauerandacht auf dem Vorplatz des Frankfurter Hauptbahnhofs. Wir dokumentieren Ihre Ansprache im Wortlaut.

Pfarrerin Jutta Jekel während der Andacht auf dem Bahnhofsvorplatz. | Foto: Rolf Oeser
Pfarrerin Jutta Jekel während der Andacht auf dem Bahnhofsvorplatz. | Foto: Rolf Oeser

Wir sind fassungslos – erschüttert – erschrocken. Wir sind mit denen, die Opfer geworden sind einer sinnlos-grausamen Tat.

„Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich verlassen!“, so schrie Jesus am Kreuz. So können wir auch heute unsere Verzweiflung über diese sinnlose Tat herausschreien.

Wo warst Du gestern, Gott, als dieser kleine Junge ermordet wurde? Wie konntest Du das nur zulassen? Warum nur? Fragen, die wir uns nicht wirklich beantworten können. Gefühle, die wir kaum in Worte fassen können.

Ebenso wissen wir nicht, was in dem Täter vorgegangen ist. Wildes Herumspekulieren hilft da nicht wirklich weiter. Schon gar nicht, um die Tat für populistische Dinge zu missbrauchen. Ein Blick in die sozialen Netzwerke spiegelt uns allerdings, dass die Tat des vierzigjährigen Eritreers dafür genutzt wird, die Spaltung unserer Gesellschaft voranzutreiben. Ich verstehe, dass die millionenfache Zuwanderung bei vielen Menschen Angst auslöst. Es hilft nicht diese Angst auszublenden, sie ist da. Wir müssen ihr begegnen.

Der achtjährige Junge ist tot, unabhängig davon, ob der Täter ein Zuwanderer ist oder nicht. Nach Polizeiberichten hat der Täter die letzten sechs Jahre in der Schweiz gelebt. Was ändert das? Für die Eltern bleibt der Tod ihres Kindes eine sinnlose Katastrophe!

Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich verlassen! Es bleibt die Frage, die uns unter den Nägeln brennt: Warum lässt Gott das zu? Wir wissen es nicht. Ich glaube, wir müssen dieses Nicht-Wissen aushalten.

Und in unserem Nicht-Wissen und vor allem unserem Nicht-Verstehen können wir aufgefangen und getragen werden von dem mit uns mitleidenden Gott, der weiß, was Trauer und Leid und Tod bedeuten, weil er in seinem Sohn diesen Weg selbst gegangen ist.

Wir können uns heute Abend nur an die Seite des Achtjährigen und seiner Familie, an die Seite der Menschen, die die Tat miterlebt haben, stellen, um ihr Leid und ihre Fragen vor Gott zu bringen. Im Vertrauen darauf, getröstet zu werden.

Was ist passiert, dass jemand, ein Mensch, so wird: voll Aggression, blinder Wut, Menschenverachtung. Was muss jemand erlebt und erlitten haben, wenn er anderen so etwas Furchtbares antut.

Wir dürfen nicht zulassen, dass jetzt Gedanken von Hass um sich greifen. Gott hat uns geschaffen für das Miteinander, nicht für ein Gegeneinander.

Was ist passiert, dass jemand, ein Täter, so wird: voll Aggression, blinder Wut, Menschenverachtung. Wie viel Schrecken muss jemand erlebt und erlitten haben, wenn er Anderen so etwas Furchtbares antut.

Wir dürfen nicht zulassen, dass jetzt Gedanken von Hass um sich greifen. Gott hat uns geschaffen für das Miteinander, nicht für ein Gegeneinander.

Wir beten für das Kind, den verstorbenen kleinen Jungen: Nimm ihn auf in Dein ewiges Friedensreich. Schenk seiner Mutter Menschen, die ihr nah sind und beistehen.

Gott, der Tod kam mitten im Leben für die Eltern des kleinen Jungen. Lass die Eltern nicht allein mit dem Gefühl, das alles verloren ist, was ihnen ihr Kind bedeutet hat.

Brich ihre Ohnmacht und hilf ihnen zu erahnen, dass sie ihren kleinen Sohn nicht aufgeben müssen, sondern das er lebt: in ihren Herzen und bei dir.

Wir beten für die Mitarbeitenden der Bahn und die Leitung des Frankfurter Bahnhofs – sie tun ihr Bestes, um die Situation zu bewältigen. Gott, wir rufen unsere Verzweiflung und Trauer zu dir.

Wir bitten Dich für die Menschen, die am Gleis standen und ihre Reise beginnen wollten und diese brutale Tat mit ansehen mussten. Sei Du nun bei ihnen, spende ihnen Kraft und Trost, stell ihnen liebende Menschen an ihre Seite und hilf ihnen, das Entsetzliche zu verarbeiten.

In unser Gebet schließen wir den Täter ein: Er muss sich vor Dir verantworten. Gott, behüte uns davor, dass wir abgleiten in Hass und Rachefantasien.

Gott sein mit uns – Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten, Durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herren. Amen


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Regelmäßig veröffentlichen wir im EFO-Magazin Gastbeiträge von Frankfurter und Offenbacher Pfarrerinnen und Pfarrern oder anderen interessanten Persönlichkeiten.

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