„Verschwörungsideologien spalten Familien“
Die Zahl der Beratungsfälle beim evangelischen Zentrum Ökumene in Frankfurt-Praunheim sind in der Corona-Pandemie nach Angaben von Pfarrer Oliver Koch stark gestiegen. Vor der Pandemie seien 300 bis 400 Personen jährlich in die Beratung gekommen, im vergangenen Jahr seien es mehr als 500 Personen gewesen, so der Experte für Weltanschauungsfragen und neureligiöse Bewegungen. Täglich führe er drei bis vier Beratungen. „Die Fälle werden dramatischer“, berichtete Koch. Jahrzehntelange Beziehungen seien am Zerbrechen, wenn ein Partner den ganzen Alltag durch die Brille einer Verschwörungsideologie sehe: „Menschen sind verzweifelt.“
Vor allem Menschen, die einen Verlust ihrer geliebten Beziehung fürchten, und junge Leute, die ihre Eltern oder Großeltern in ein „Querdenker“-Milieu abdriften sehen, suchen laut Koch die Beratung auf. Die meisten stammten aus dem Bildungsbürgertum, Ärzte, Lehrerinnen, Studierende. Die früher klassische Situation, dass Eltern um Hilfe baten, weil ihre Kinder in eine Sekte gingen, habe sich im Blick auf die Generationen eher umgekehrt. So habe zum Beispiel eine Studentin um Beratung gebeten, deren Opa im Garten einen Bunker baue und sich weigere, importierte Lebensmittel zu essen.
Jüngere Menschen durchschauten die Mechanismen der Algorithmen in Social Media und die Entstehung von Filterblasen Gleichgesinnter besser als ältere, erklärte Koch. Das Abdriften in eine Parallelwelt könne sich in wenigen Wochen vollziehen. Menschen sehnten sich in der Pandemie nach einfachen und klaren Antworten. Eine Gemeinschaft, die exklusives Wissen teile, schweiße zusammen. Demonstrationen auf der Straße vermittelten Zusammenhalt und dienten der Selbstvergewisserung.
Gemeinsame Überzeugung von Verschwörungsideologien sei, dass das Leben von Mächten aus dem Hintergrund gesteuert werde. Rechtes, linkes und esoterisches Milieu durchmischten sich. In einem Fall habe eine junge Frau um Beratung gebeten, deren Vater ein Leugner der Corona-Pandemie sei und den selbst eine Covid-19-Erkrankung mit Koma auf der Intensivstation nicht bekehrt habe, berichtete Koch. Der Vater beharre darauf, von der Medizin nur als „Versuchskaninchen“ missbraucht worden zu sein.
Die Beratung versuche, die Gemeinsamkeiten der Klienten zu stärken: „Was haben wir gerne zusammen gemacht?“ In einem nächsten Schritt gehe es darum zu schauen, warum die Klienten sich auseinandergelebt haben. Grundsätzlich rate er, nie den anderen als Ideologen abzustempeln, sondern gesprächsbereit zu bleiben. Eine klare Grenze allerdings müsse gegenüber menschenverachtenden und rassistischen Aussagen gezogen werden, betont Koch.
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