Veränderte Sektenlandschaft: Der Selbsthilfeverein „SINUS“ hat sich aufgelöst
Vor 25 Jahren war der hessische Selbsthilfeverein „Sinus“ für Menschen, die in problematische weltanschauliche Gruppierungen geraten sind, mit Unterstützung des evangelischen und katholischen Weltanschauungsbeauftragten gegründet worden. Ziel war es, dass Betroffene mit ehemaligen Sektenmitgliedern sprechen konnten. Denn es ist ein Kennzeichen von Sekten, dass sie einen eigenen „Code“ sprechen. Außenstehende verstehen oftmals den Inhalt der Worte nicht, schon gar nicht die Bedeutung im Sekten-Kontext. „Sinus“ war also eine Plattform des Erfahrungsaustauschs unter Betroffenen.
Allerdings hat sich die Szene in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten verändert. Es gibt zwar immer noch die großen Gruppierungen wie Zeugen Jehovas oder Scientology, aber es sind auch zahlreiche kleine Gruppen mit sektenhaftem Charakter entstanden. Der „Sektenmarkt“ ist sehr unübersichtlich: Lebenshilfeangebote, Persönlichkeitsseminare, Jenseitskontakte und Fernheiler kann man etwa jedes Jahr auf der Esoterik-Messe in Frankfurt erleben.
Noch etwas hat sich grundlegend gewandelt: Anders als in den 1970er Jahren, als viele Sekten den Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft propagierten, versprechen sie heute Selbstoptimierung und ein besseres Leben innerhalb der Gesellschaft. Selbst Managementseminare sind da nicht ausgenommen. Hinzu kommt, dass sich abstruse Ideologien aller Art wie etwa die der so genannten „Reichsbürger“ über das Internet wunderbar verbreiten lassen.
Doch im Kern geht es immer um die gleiche Frage: Ab wann werden Menschen so manipuliert, dass ihr Tun und Handeln völlig fremdbestimmt sind? Und in letzter Konsequenz: Ist man bereit, um der angeblich „gerechten Sache“ Wille“ anderen Schaden zuzufügen?
Auch bei den jungen Anhängerinnen und Anhängern eines radikalen Salafismus im Islam wirkt dieser Mechanismus. Die Auseinandersetzung mit totalitären Strömungen unter religiösem Vorzeichen ist aktueller denn je, und die Demokratie braucht sie.
Doch diese Auseinandersetzung kann in der ehrenamtlichen Struktur von „Sinus“ nicht mehr geleistet werden. Die Kirchen stehen weiterhin mit ihren Weltanschauungsbeauftragten als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung.