Unterwegs zu Spuren der Pogrome
„Im Gehen erinnern“ – Orte der Pogrome vom November 1938 aufzusuchen, ist eine Tradition in Frankfurt geworden. Auch in diesem Jahr, am 7. November, haben sich Konfirmandinnen- und Konfirmandengruppen und andere Interessierte zusammen mit Vertrer:innen der Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Jüdischen Gemeinde und des Evangelischen Stadtdekanats auf gemacht.
Eine Reihe Erwachsener schloss sich dem Erinnerungsgang an, darunter eine 87 Jahre alte Seckbacherin mit Rollator – „so weit bin ich damit noch nie gelaufen“. Doch es war ihr wichtig, mit dabei zu sein, am Börneplatz, in der Neuen Altstadt, an der Stele, die an den Juristen Fritz-Bauer erinnert, und den anderen Gedächtnisorten.
„Was würdet ihr tun, wenn man euch aus eurem Lieblingsverein herauswirft, einfach nur, weil ihr so seid, wie ihr seid?“, fragte Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für interreligiösen Dialog im Stadtdekanat, vor dem Haus in der Albusstraße 24, wo mit einem Gedenkstein an den Eintrachtspieler Max Girgulski erinnert wird, der dort aufwuchs. 1938 wanderte er nach Argentinien aus, nachdem er hier erst den Job und dann die Hoffnung verloren hatte.
Vom Judenghetto jenseits der Mauern, von 800 Jahren Geschichte des Antisemitismus in Frankfurt sprach Faust Kallenberg, die christlicherseits Vorsitzende der Gesellschaft für Jüdisch-christliche Zusammenarbeit ist, bei einem anderen Halt in der Innenstadt. Leider sei das Thema bis ins neue Jahrtausend aktuell geblieben, so Faust Kallenberg. Gegenwärtig „sieht die Versorgung mit Informationen und die Entstehung von Vorurteilen auch nicht viel anders aus, nur tragen die Ghettos andere Namen und finden digital statt“, äußerte Faust Kallenberg.
Gedenken vor Beckmann Darstellung der Synagoge
Am 9. November 1938 fiel die unweit der Konstablerwache gelegene Synagoge in Schutt und Asche, Max Beckmann hatte sie einst eindrücklich gemalt, eine Kopie des Werks hängt seit einigen Jahren vor der Bürotür des evangelischen Stadtdekans – aus seinem Büro schaut er auf den Börneplatz, dorthin, wo einst das jüdische Gotteshaus stand, bevor es bei den Pogromen angezündet und zerstört wurde.
Holger Kamlah, evangelischer Stadtdekan, begrüßte die Gruppe, vor dem Gemälde. Derzeit bestimmten die Bilder aus Nahost die Wahrnehmung, sagte er, gerade deshalb sei es wichtig, an das Geschehen vor 85 Jahren zu erinnern. „Es ist wichtig, weil das eine mit dem anderen zusammenhängt. Wer nur die aktuellen Nachrichten im Fernsehen sieht, kennt nur die halbe Geschichte.“ Kamlah äußerte auch, solch ein Gedenken sei nicht nur Verpflichtung, sondern zudem Ausdruck der Dankbarkeit und Freude, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder zur Blüte gekommen sei.
Petra Kunik, jüdischerseits Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, und Rabbiner Julian Chaim Soussan sprachen gleichfalls vor dem Beckmanngemälde zu den Jugendlichen. Vor 85 Jahre habe die Polizei bei den Pogromen Gewalt angewandt, heute stehe sie für den Schutz, das sei ein wichtiger Unterschied, sagte Soussan. In Richtung der Jugendlichen äußerte er den Wunsch, dass sie sich laut und vernehmehmlich gegen Antisemitismus aussprechen, „gemeinsam kriegen wir das hin“. Er tat aber auch sein Erschrecken über die jüngsten Entwicklungen kund, wenn Hochbetagte, die Auschwitz überlebt haben, sehen müssen, dass Antisemitismus sich in Deutschland breite Bahn bricht.
Petra Kunik, Jahrgang 1945, erzählte, dass sie aktuell ihren Davidstern unter dem Pulli verstecke, wenn sie in einem Lokal sitzt, eine U-Bahn benutzt. Erschrocken sei sie, wenn versucht werde, nicht anzuerkennen, dass die Massaker vom 7. Oktober Pogrome und die gewaltsamsten Exzesse gegenüber Jüdinnen und Juden nach der Shoah waren. Den Jugendlichen, aber auch dem Kreis der Erwachsenen, der mitgegangen war, gab sie mit: Hören sie auf die Nachrichten, hören sie auf beide Seiten und bleiben sie judenfreundlich.