„Schon wieder …“ Müssen jüdische Menschen in Frankfurt Angst haben?
Am 9. November 1938 sahen Frankfurterinnen und Frankfurter begeistert zu, wie Nationalsozialisten nicht nur zentrale jüdische Synagogen zerstörten, sondern sich auch am Eigentum jüdischer Menschen vergriffen. Wie viele damals schon erfassten, dass das der Anfang eines Genozids war, kann heute keiner mehr sagen, nur eines ist klar: angesichts zunehmender rechtsradikaler Übergriffe auf jüdische Menschen und jüdische Einrichtungen ist es überfällig, die Notbremse zu ziehen.
Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Frankfurt (GCJZ), die Evangelische Kirche Frankfurt und Offenbach und die Jüdische Gemeinde Frankfurt möchten genau dies mit einem Gedenkgang und einer anschließenden Podiumsdiskussion tun. Dabei wollen sie eine Brücke zwischen den Generationen und den Ereignissen von damals und heute schlagen.
So werden Konfirmandinnen und Konfirmanden um 16.30 Uhr zusammen mit Petra Kunik, Vorsitzende der GCJZ, Roberto Fabian, Interreligiöser Referent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog im Evangelischen Stadtdekanat, und Melanie Lohwasser, Pfarrerin für Altenheimseelsorge der Budgestiftung, an fünf Stationen in der Frankfurter Altstadt an die Ereignisse der Novemberpogrome erinnern. Sie werden Texte von Valentin Senger lesen, in denen dieser seine Eindrücke jenes 9. Novembers festgehalten hat und sie mit diesen besonderen Orten verbinden. Dabei beginnen sie ihren Weg an der Gedenkstätte Börneplatz, wandern zum früheren Wohnhaus des ehemaligen Eintrachtspielers Max Girgulski und von dort zur Fritz-Bauer-Stele am Oberlandesgericht, bevor sie dann die neue Gedenkstätte an der Staufenmauer besuchen. Endpunkt ist, wie in den vergangenen Jahren, das Dominikanerkloster, im ersten Stock direkt vor dem Büro des evangelischen Stadtdekans Holger Kamlah. Dort hängt eine Kopie von Max Beckmanns Gemälde der Börneplatz-Synagoge. Hier werden Kamlah und Rabbiner Julian-Chaim Soussan mit ihnen sprechen. „Diese Jugendlichen sind die Träger unserer Erinnerungen und damit die neuen Zeitzeugen“, sagt er. Ihm ist das dialogische Konzept dieses Rundgangs wichtig, an dem in jedem Jahr auch Erwachsene teilnehmen, um die Jugendlichen in ihrem Erinnerungsgang zu unterstützen. Musikalisch wird der Rundgang von der Frankfurter Bläserschule im Eingang des Dominikanerklosters empfangen.
Im Anschluss an den Gedenkgang – von 18.30 Uhr an – greift ein Podium die aktuelle Situation jüdischer Menschen in Frankfurt auf. Unter dem Thema „Schon wieder – Müssen jüdische Menschen in Frankfurt Angst haben" diskutieren Christoph Döring, Staatsschutz Kriminalpolizei Frankfurt; Holger Kamlah, Stadtdekan, Evangelische Kirche Frankfurt und Offenbach; Daniel Navon, Vorstand des Jüdischen Studentenverbandes Hessen; und Julian-Chaim Soussan, Rabbiner, Jüdische Gemeinde Frankfurt. Moderiert wird das Podium von Michaela Fuhrmann, der Leiterin für Politische Beziehungen der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Einen Input gibt die neue Antisemitismusbeauftragte der Universität Marburg und Mitarbeiterin der Recherche- und Informationsstelle Hessen Susanne Urban.
Nicht nur die Folgen des 7. Oktobers 2023, mit einem zunehmenden Antizionismus an Universitäten, in Schulen und auf den Straßen, haben zu einem gefühlten „Schon wieder“ unter jüdischen Menschen beigetragen, sondern auch die sich in uralten antisemitischen Verschwörungsmythologien manifestierende rechtsradikale Hetze. Urban berichtet, bereits am Tag des Massakers am 7. Oktober 2023, sind „aus Hessen acht Meldungen bei uns eingetroffen. Das Massaker und die nachfolgende, noch immer anhaltende antisemitische Welle führten zu Sicherheitsverlust, Angst, transgenerationeller Retraumatisierung und sekundärer Traumatisierung in der jüdischen Community. Und die Zivilgesellschaft schweigt mehrheitlich." Daniel Navon vom jüdischen Studierendenverband, der mit der Situation an hessischen Universitäten vertraut ist und auf dem Podium sitzen wird, sagt: „Die Räume für jüdische Studierende werden mit dem Voranschreiten antisemitischen Gedankengutes auf Social-Media und dem universitären Kontext immer kleiner. Es braucht mehr Zivilcourage und Verständnis von israelbezogenem Antisemitismus.“
Müssen jüdische Menschen in Frankfurt also Angst haben? Gibt es Möglichkeiten, das Übel an der Wurzel zu packen? Wie können erfolgreiche Formen der Antisemitismusprävention aussehen, die nicht nur Symptome bekämpfen? Ist es möglich, die Entwicklung hin zum „Schon wieder“ umzukehren? Die Podiumsdiskussion am 12. November, um 18.30 Uhr, unter der Schirmherrschaft von Bürgermeisterin Nargess Eskandari Grünberg, möchte sich diesem Thema konstruktiv annähern.
Dienstag, 12. November, 16.30 Uhr: Treffpunkt Gedenkgang: Börneplatz, F-Innenstadt; im Anschluss:
Dienstag, 12. November, 18.30 Uhr, Gedenken und Gespräch, Dominikanerkloster, Kurt-Schumacher-Straße 23, F-Innenstadt