Protestantismus und Paulskirche
Nur wenige Tage brauchte die lutherische Gemeinde Frankfurts im Jahr 1848, um die schriftliche Anfrage zu beantworten: Ja, sie würde ihre Paulskirche der Nationalversammlung zur Verfügung stellen. „Auch in der evangelischen Kirche gab es glühende Befürworter der demokratischen Bewegung“, erläutert Andrea Braunberger-Myers, die heutige Paulsgemeinde-Pfarrerin. Einer davon war Gerhard Friederichs, damals der ranghöchste lutherische Pfarrer Frankfurts, der am 2. April beim Predigen geradezu ins Schwärmen geriet: „Wir haben binnen weniger Wochen geistig Jahrhunderte durchlebt. Und sollten wir unsere Freude als Menschen, Staatsbürger und Christen nicht laut werden lassen?“
Mit 2000 Sitzplätzen war die Paulskirche damals das größte Gebäude der Stadt – und die Verflechtungen zwischen Kirche und Stadtregierung eng: Erst 1820 hatte die lutherische Gemeinde, zu der 75 Prozent der Bevölkerung gehörten, einen eigenen Kirchenvorstand bekommen – davor war der Magistrat gleichzeitig der Kirchenvorstand gewesen. Weitreichende Befugnisse hatte die Gemeinde aber weiterhin nicht, Geld erst recht keines. Auch den Bau der neuen, 1833 fertiggestellten Paulskirche hatte die Stadt finanziert. Eine mögliche Trennung von Staat und Kirche nach französischem Vorbild, wie sie einige Abgeordnete in der Nationalversammlung forderten, sah man in Frankfurt zwiespältig. Einige Kirchenvertreter waren dafür, denn sie erhofften sich eine größere Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme. Andere warnten allerdings vor einem materiellen Ausbluten. Die meisten plädierten für einen Mittelweg, nämlich eine schrittweise Entflechtung der beiden Organisationen. Eine neue, demokratischere Gemeindeordnung war auch bereits in Arbeit.
Doch daraus wurde nichts. Mit dem Scheitern der Nationalversammlung wurde auch die „Verbindung von Thron und Altar“ wieder festgezurrt. Während der Weimarer Republik und erst recht im Nationalsozialismus stand der deutsche Protestantismus weiterhin unter staatlicher Kontrolle. Institutionelle Unabhängigkeit erhielt die evangelische Kirche in Deutschland erst nach 1945.
„Auch in der Kirche war die Begeisterung für die Nationalversammlung groß“
Warum tagte das erste deutsche Parlament ausgerechnet in einer Kirche? Und wie ging es nach der Versammlung weiter mit dem Verhältnis von lutherischer Gemeinde und Demokratie? Darüber sprachen wir mit Andrea Braunberger-Myers, der heutigen Pfarrerin der Paulsgemeinde.
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„Die evangelischen Theologen in der Nationalversammlung waren eher links“
Fast sechzig der rund 800 Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung waren evangelische Theologen, doppelt so viele wie Katholiken. Und sie gehörten mehrheitlich den linken, also republikanischen Strömungen an, obwohl die evangelische Kirche eher monarchistisch war. Ein wichtiges Thema war in der Nationalversammlung die Trennung von Staat und Kirche. Wobei die Positionen nicht immer so eindeutig waren, wie wir uns das heute vorstellen Über all das gibt der Kirchenhistoriker und ehemalige Verwaltungschef des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt, Jürgen Telschow, Auskunft.
Im Interview
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Vorträge von Jürgen Telschow
„Evangelische Theologen in der Paulskirchenversammlung und Frankfurter Predigten zu ihr“ (Donnerstag, 16. März)
„Die Frankfurter Evangelische Kirche zur Zeit der Paulskirchenversammlung“ (Donnerstag, 30. März)
Jeweils um 18 Uhr, im Gemeindehaus der Paulsgemeinde, Hinter dem Lämmchen 8.
Der Protestantismus und die Paulskirche
Podiumsdiskussion mit Pfarrerin Andrea Braunberger-Myers, Ev.-luth. St. Paulsgemeinde, Frankfurt, Prof. Stefan Michels, Goethe-Universität Frankfurt, Dr. Michael Frase, Ev.-luth. Predigerministerium, Frankfurt
Moderation: Dr. Margrit Frölich, Ev. Akademie Frankfurt
Donnerstag, 23. März, um 19 Uhr in der Evangelischen Akademie, Am Römerberg 9.
Gottesdienst mit kirchlichen und politischen Liedern rund um die Paulskirche
Am Sonntag, 7. Mai, um 11.15 Uhr, in der Alten Nikolaikirche am Römerberg.
„Kirche der Freiheit – warum die Paulskirche nach dem Apostel Paulus heißt“
Gottesdienst mit Pfarrerin Andrea Braunberger-Myers am Sonntag, 14. Mai, um 11.15 Uhr, in der Alten Nikolaikirche am Römerberg.
„Verfassungsräume. Wo sich Demokratie ein Gerüst gibt“
Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier, Bauhaus Universität Weimar, Prof. Dr. Anja Laukötter, Universität Jena, Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg, Universität Frankfurt, Dr. Christian Faludi, GEDG/Universität Jena, Andrea Braunberger-Myers, Pfarrerin der Ev.-luth. St. Paulsgemeinde, Frankfurt
Moderation: Dr. Justus H. Ulbricht, Historiker am Sonntag
20. Mai, um 17 Uhr, im Gemeindehaus der Paulsgemeinde, Hinter dem Lämmchen 8.
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