Mit Frau Kirch in die Kirche (8): Magisches Denken?
Ein regnerischer Montagabend im Herbst 2022 am unteren Ende des Oeder Wegs: In der Nähe des russischen Generalkonsulats stehen zwei Dutzend Menschen im Halbkreis, umbrandet vom Feierabendverkehr. Ukrainisch, Russisch, Deutsch und Spanisch – ein Friedensgebet in vier Sprachen besuche ich zusammen mit Lars Ruth. Veranstaltet wird es von der Freien Evangelischen Gemeinde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und der Evangelischen Allianz, begleitet von Pastor David Schultze, mit Gitarre.
Lars Ruth ist Künstler, genauer: Magier. Derzeit reist er in einem Duo durch ganz Deutschland und bringt Menschen auf die Spur nicht ganz alltäglicher, verblüffender Bewusstseinsphänomene. Ihn interessieren mentale Vorgänge, das Bewusstsein also und seine Grenzbereiche hin zu Esoterik, Parapsychologie, Spiritismus. Ich frage ihn: Ganz nüchtern betrachtet – gibt es so etwas wie Gedankenlesen? Stühlerücken? Hypnose?
Auf jeden Fall, sagt Lars Ruth, sei das menschliche Bewusstsein so veranlagt, dass es aus eigener Kraft über sich hinauswachsen kann. Genau darum gehe es ihm bei seiner Show, nicht nur um Unterhaltung. Wenn Suggestion dazu dient, diese Kraft deutlich werden zu lassen, sei sie völlig legitim. Rituale wie Beten sind in den Augen des professionellen Magiers eine Form der Autosuggestion, die er in Ordnung findet, solange es die Menschen nicht vom Handeln abhält. Eine positive Kraft, etwas, das entlastet, aber auch gefährlich werden kann, wenn Menschen Verantwortung abgeben und sich manipulieren lassen.
Deshalb findet er es heikel, wenn ein Pastor Menschen dazu auffordert, sich in die Hände von Gott zu begeben. „Guck mal, eine Showband“, sagt ein kleines Mädchen mit Blick auf die Veranstaltung im Vorbeigehen zu ihrer Mutter. Lars Ruth stimmt zu: „Kindermund tut Wahrheit kund.“ Die ganze Veranstaltung ist in seinen Augen von magischem Denken geprägt: Zusammen Beten, um etwas zu bewirken. Lars Ruth findet das in Ordnung: Heißt es nicht auch „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“? Beten also als Methode, aber nicht als Ziel. Als ein Weg, mental über sich hinauszuwachsen, eine Kraft, die aber nur dann weiterwirkt, wenn die Einzelnen aktiv bleiben und sich nicht einlullen lassen von einer falsch verstandenen Tragweite des Spirituellen.
Das Friedensgebet ist eine leise Veranstaltung, ein Moment der Konzentration im wuseligen Großstadttreiben. Kein Publikumsmagnet, nur hin und wieder wird es mitreißend, gerade dann, wenn für uns die Sprache nicht verständlich ist. Ukrainisch, Russisch. Sehr eindringlich, rhythmisch, mit vielen Wiederholungen, erratisch und doch spürbar angetrieben von einem Anliegen, einer Geste der Hinwendung, Bitte, Verzweiflung auch. Wo die Verständigung auf Sprachbarrieren trifft, scheint etwas Unmittelbares zu entstehen.
Ist das verführerisch, stärkend, illusionierend? Das menschliche Bewusstsein neige zur Selbsttäuschung, meint Lars Ruth. Gewissermaßen sind wir uns also nah, wenn wir in Differenz zu uns selbst geraten. Und gerade dann können wir uns auf die Spur kommen. Vorausgesetzt, wir lassen uns nicht verzaubern, sondern bleiben mental wach und unterwegs.
Das nächste Friedensgebet findet voraussichtlich Ende Oktober statt. https://fegfrankfurt.de/
Zum Magier geht’s hier: lars-ruth.de