Akademiedirektor Latzel: „Markus Söder höhlt die Bedeutung des Kreuzes aus“
Wörtlich sagte Latzel in seiner Predigt in der Französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt: „Es geht nicht darum, Kreuze an die Wand zu nageln, sondern in der Nachfolge dessen zu leben, der an das Kreuz genagelt wurde.“ Zu den aktuellen Herausforderungen gehöre entsprechend eine Auseinandersetzung mit Gruppierungen, die das Kreuz vereinnahmen und in seinem Gehalt reduzieren, ebenso wie die Anstrengung seitens der Kirchen, die religiösen Inhalte transparent zu machen.
Die Solidarität mit Fremden und der Zusammenhang mit anderen Religionen sei ein elementarer Bestandteil der Botschaft des Kreuzes: Jesus starb als Jude unter der Inschrift Inri (Jesus von Nazaret, König der Juden) sowie als Sünder Seite an Seite mit anderen Sündern. Die Begegnung mit anderen Religionen sei als Aufgabe im Kreuz mit gegeben ebenso wie die Solidarität mit Fremden und die Anteilnahme an ihrem Leid. Das Kreuz sei ein Aufruf, im Lichte einer anderen Wirklichkeit zu leben, die Leerstelle freizuhalten und das Unverfügbare im Horizont des alltäglichen Lebens aufscheinen zu lassen.
Das Kreuz stehe für das unaussprechliche Leid, für Not und Ungerechtigkeit – für das Unsagbare – ebenso wie für den Resonanzraum, in dem Gott gegenwärtig werden kann. „Gott ist in, mit und bei den Menschen, die in ihrer Not keinen Gott mehr spüren können“, so formulierte Latzel in seiner Predigt.
Das Verstehen von Lücken und Leerstellen – das Lesen zwischen den Zeilen – sei wesentlich für ein christliches Verständnis der Bibel – und des Kreuzes. Als Beispiel zitiert Latzel den eingangs mit der Gemeinde im Wechsel gelesenen Psalm 22. Die am Beginn des Psalms ausgesprochene verzweifelte Frage „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – gefolgt von einer langen Klage – verwandelt sich in der zweiten Hälfte des Psalms mit der Feststellung „Du hast mir Antwort gegeben“ in ein Lob Gottes. Welcher innere Kreuzungspunkt zu dieser Umkehr bewogen hat, lässt der Psalm offen für Interpretation: Die Geschichte enthält eine Lücke. Nicht beschrieben wird, wie es geschieht, dass Gott die Klage hört und der Beter Gott nun loben kann. Etwas ist unsagbar, doch genau dieses Unsagbare bleibt für den Gläubigen nicht ohne Resonanz. Gerade die Leerstelle, die Lücke, das Schweigen entfalte den Raum für das Unverfügbare, das Wunder Gottes, so Latzel.
0 Kommentare
Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.