Kontaktbeschränkungen nur für die Risikogruppen?
Inzwischen scharren viele mit den Hufen, die eine vorsichtige Rückkehr in die Normalität wollen. Einerseits, weil die geltenden Regeln tief in jeden einzelnen Hausstand einschneiden, andererseits, weil das Auskommen aller von einer funktionierenden Wirtschaft abhängt. Es geht also durchaus um vitale Interessen, wenn nicht wenige nun fordern, nicht mehr alle, sondern nur noch die besonders Schutzbedürftigen in ihren Kontakten zu beschränken, die im Fall einer Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf rechnen müssen. Das sind überwiegend Menschen im Rentenalter, die bereits an bestimmten Vorerkrankungen leiden.
Kein Wunder also, dass „die Risikogruppe“ im Volksmund bereits zum Synonym für „Senioren“, „Ältere“ oder „Alte“ geworden ist. Sie weiterhin zu isolieren, während die weniger Gefährdeten ihren Alltag wieder aufnehmen, wäre pragmatisch. Auch, weil „die Risikogruppe“ nicht nur selbst besonders gefährdet ist. Sie stellt auch für den Rest der Bevölkerung ein Risiko dar, indem sie bei einer Infektion die medizinischen Kapazitäten bindet und im ungünstigsten Fall eine Triage erforderlich macht. Andere Kranke könnten also womöglich nicht angemessen behandelt werden, ganz zu schweigen von den Kosten für die Allgemeinheit. „Die Risikogruppe“ ist zudem generell mit einer höheren Sterbewahrscheinlichkeit behaftet als die Jüngeren, so dass sich auch der Wert einer aufwändigen Rettung relativiert.
Einem angewiesenen Fensterplatz für die ältere Generation stellt sich die Bundesregierung derzeit noch mit Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz entgegen. Die im Prinzip nahe liegende Lösung hätte auch weitere Tücken. Jüngere ohne Vorerkrankungen, die ebenfalls einen schweren Verlauf erleiden können, blieben ohne Schutz. Umgekehrt wären gesunde Ältere ebenfalls von Einschränkungen betroffen. Polizeilich kontrollierbar wären Kontaktbeschränkungen nur auf der Basis des im Ausweis eingetragenen Alters. Das wäre Altersdiskriminierung, die umso schwerer wiegt, als es ja um das Vorenthalten von Grundrechten geht.
Zweifellos hat der Staat eine Fürsorgepflicht für seine Bürgerinnen und Bürger. Aber die tragen auch selbst eine Verantwortung für sich und das Gemeinwesen. Ein fahrlässiger oder gar grob fahrlässiger Umgang mit den Risiken wäre verwerflich, übrigens auch im Sinne der Nächstenliebe. Den anderen wie sich selbst zu lieben, bedeutet, die Sorge für sich selbst zum Maßstab für die Sorge gegenüber den anderen zu machen – und umgekehrt. Geboten ist es mithin, nach Kräften jedes Risiko zu vermeiden, selbst andere anzustecken. Abstand schützt Leben. Zugleich ist es aber auch geboten, sich selbst einer Infektion so weit wie möglich zu entziehen. Einmal, weil das im Zweifelsfall Lebensgefahr für die eigene Person (und andere!) bedeutet, und dann auch, weil ich als Infizierter eine womöglich vermeidbare Last für das Gemeinwesen darstelle.
Es spricht also alles gegen eine vom Staat erzwungene Isolation Älterer und alles dafür, dass jeder und jede sich selbst und andere vor einer Infektion schützt. Weiterhin spricht alles dafür, im Fall einer Unsicherheit über eine ungünstige Disposition für das neuartige Corona-Virus den Rat und die Verhaltensempfehlung eines Arztes oder einer Ärztin einzuholen, um freiwillig, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst mit dem Risiko umzugehen, nicht bevormundet oder erzwungen. Und – last but not least – geht es natürlich nicht, einen Teil der Bevölkerung pauschal als „Risikogruppe“ abzuwerten und ihr mehr oder weniger ausgesprochen geringere Lebensrechte als anderen zuzubilligen. Wir wollen ja mit der „Risikogruppe“ nicht das Wörterbuch des Unmenschen füllen.
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