Kirchen als sakrale Orte und als Orte des Gemeinwesens
Zurückgehende Mitgliederzahlen, schwindende Steuereinnahmen sorgen bei den Kirchen für weniger Mittel zum Unterhalt und Erhalt ihrer Gebäude. Was wird aus den Kirchen – Jahrhunderte alte Orte des Glaubens, Symbole für den Wiederaufbau der Nachkriegszeit, Räume der Spiritualität: Unter dem Titel „Heilige Räume - Neue Konzepte - Gerettete Zukunft?“ haben Fachleute am Dienstagabend in der Weißfrauen Diakoniekirche im Bahnhofsviertel über das Thema diskutiert.
Karin Berkemann, Theologin, Kunsthistorikerin und Privatdozentin, Frankfurt am Main/Greifswald, sprach bei der Veranstaltung zu der die Evangelische Kirche in Frankfurt und Offenbach in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. und der Evangelischen Akademie eingeladen hatte, von Kirchen als „mehrfach codierten Räumen“. Kirchen seien „Gemeingüter“ sagte Berkemann, die zu den Autoren und Autorinnen des im Mai 2024 veröffentlichten Kirchenmanifests gehört. Es fordert dazu auf, diese zum Kulturerbe zählenden Orte auch neu zu denken, um den Erhalt und die Pflege der Bauten über neue Trägerschaften, wie etwa Stiftungen, nachhaltig zu sichern.
Auf Bundesebene hat dieses Manifest weithin Unterstützung gefunden, mitinitiiert haben dieses Papier unter anderem die Bundesstiftung Baukultur und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Berkemann schlug „Kreativ-Moratorien“ vor: Warum immer entscheiden, wenn ein Bau in Frage gestellt wird? Denkbar sei es doch, Kirchen für zehn Jahre mit einem geänderten Nutzungskonzept zu betreiben, das dem Gemeinwesen, der Gemeinschaft dient, um dann zu schauen, ob sich das Konzept trägt und in welcher Form Anpassungen notwendig werden, beziehungsweise in welche Richtung es zukünftig gehen soll.
Dass die Möglichkeiten, die Areale zu nutzen, nicht beliebig sind, erläuterte Martin Hunscher, Leiter des Frankfurter Stadtplanungsamtes, in dem Panel. Die kirchlichen Grundstücke seien planungsrechtlich größtenteils als Gemeinbedarfsflächen ausgewiesen. Diese benötige die Stadt Frankfurt auch dringend, da in den vergangenen Jahren die Wohngebiete in Frankfurt gewachsen sind, und es an sozialen Einrichtungen, an Treffpunkten fehle. Ihn freue, dass auch die kirchlichen Bauabteilungen inzwischen weniger an Wohnungen als Ersatz für gemeindliche Liegenschaften dächten, sondern auch zunehmend auf die Notwendigkeiten in den umliegenden Quartieren schauten.
Stadtplanerin Birgit Kasper saß als Vertreterin des Netzwerks für Gemeinschaftliches Wohnen e.V., Frankfurt am Main in der Podiumsrunde. Kirchen und Initiativen wie Baugemeinschaften stünden für Synergien - beide einige beispielsweise Achtsamkeit, das Bemühen, Menschen zusammenzuführen, konstatierte Kasper.
Markus Eisele, Theologischer Geschäftsführer des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach, äußerte in der Debatte, „dass wir es uns als Stadtgesellschaft nicht leisten können, wenn so viele Orte gemeinschaftlichen Lebens fortfallen". Angesichts der Finanzlage sei jedoch zukünftig von deutlich weniger Versammlungsfläche auszugehen. Das betreffe nicht nur Versammlungsflächen in Gemeindehäusern, auch für den Unterhalt der Kirchgebäude seien die Mittel begrenzt. Zu seinem Bedauern sei der Unterhalt der Weißfrauen Diakoniekirche als Kulturort zukünftig nicht mehr zu stemmen, es brauche Unterstützung dafür. Aktuell werde mit zahlreichen Partnern an einem neuen Konzept gearbeitet.
Architekturprofessor Roger Riewe, Graz/Berlin, hielt neben Berkemann eingangs einen Vortrag. Er berichtete von der ehemaligen katholischen St. Agnes-Kirche in Berlin, die inzwischen primär als Ausstellungsraum einer Galerie und nicht mehr als Sakralraum genutzt wird. Der Fokus Riewes lag auf dem Umgang mit der Bausubstanz des Nachkriegsbaus. Fugen markieren nach der Sanierung in Sankt Agnes den Abstand zwischen „Neu-Eingefügtem“ und „Ursprünglichem“. Riewe sprach sich dafür aus, Neues konsequent sichtbar zu machen und in anderen Situationen das Gegebene hinzunehmen.
Karin Berkemann äußerte, dass Kirchen „nachhaltiges Kulturerbe“ darstellen, oft seien sie über Jahrhunderte erhalten, renoviert und neu gestaltet worden. Statt Abriss seien Mischnutzungen denkbar. Exemplarisch nannte sie unter anderem eine Öffnung für Wohnsitzlose, die Unterbringung einer Fahrradwerkstatt oder einer Kindertageseinrichtung, neben einem sakralen Raum – alles unter einem Dach. Mit Beispielen aus der ganzen Republik bebilderte sie diese Vorschläge.
Die Ausstellung „Heilige Räume – Neue Konzepte“, mit sechs Beispielen für gewandelte Nutzungen ist bis zum 4. Oktober im Foyer des Dominikanerklosters, Erstes Obergeschoss, Kurt-Schumacher-Straße 23, Innenstadt, zu sehen. Zugänglich ist sie montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr.