Frankfurter Pfarrer übernimmt Vorsitz bei christlich-jüdischem Dialog
David Schnell, Pfarrer der Evangelischen Sankt Nicolai-Gemeinde im Frankfurter Ostend und mit der anderen halben Stelle kunstkundiger Pfarrer für Stadtkirchenarbeit am Frankfurter Museumsufer, wird am Sonntag, 5. Februar, in Bad Soden gemeinsamen mit dem neuen Vorstand als Vorsitzender von „ImDialog – Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau“ eingeführt.
Mit vielen Eindrücken ist er gerade aus Berlin zurückgekehrt. Die Konferenz landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden, kurz KLAK genannt, hat in der Hauptstadt getagt. Das erste Live-Treffen nach drei Jahren; sehr konkret, sehr praxisnah seien die Debatten gewesen: Wie antisemitischen Stereotypen entgegensteuern, ob in Gottesdiensten, Schulbüchern oder Kinderbibeln sei beispielsweise Thema gewesen. „Das sind keine offen oder gar gewollte antisemitischen Darstellungen“, so Schnell, „und doch können sie antisemitische Klischees fördern, etwa indem das stereotype Bild des Juden mit Schäfchenlocken und Kaftan als ,das typisch Jüdische‘ weitergetragen wird.“.
Schnell, Jahrgang 1970, hat einen Stammbaum wie viele Deutsche: Sowohl Widerstand gegen das NS-Regime als auch Verstrickung in den Nationalsozialismus finde sich unter seinen Vorfahren, erzählt der Theologe, der in Herborn aufgewachsen und in Frankfurt und Berlin studiert hat.
Mit zwölf, dreizehn begann David Schnell sich für die Geschichte des Dritten Reichs zu interessieren. Am ersten Studienort bot die von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) initiierte Martin-Buber-Professur interessante Impulse.
Der Wechsel nach Berlin rührte explizit aus seinem Interesse an christlich-jüdischen Themen. Der systematische Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt, bei dem Schnell in Berlin studierte, gilt bis heute als einer der Pioniere im christlich-jüdischen Dialog. Ebenso war Professor Peter von der Osten-Sacken, der das Neue Testament als genuin jüdische Schriftensammlung erforscht hat, ein wichtiger Lehrer für ihn.
Arbeitskreis wird 70 in diesem Jahr
David Schnell hat vor einigen Jahren in einem Ausschuss der KLAK an der neuen Perikopenordnung, die die jeweiligen Gottesdiensttexte aus der Bibel vorgibt, mitgewirkt. Unter anderem findet er gut, dass dem Alten Testament inzwischen mehr Gewicht zufällt. Der Theologe weist darauf hin: In beiden Testamenten ist Gott beides, der gnädige, aber auch der strafende. Im Alten Testament seien von christlicher Seite lange die gnädigen Seiten vernachlässigt, im Neuen Testament die Passagen überblättert worden, in denen es „massive Gerichtsvorstellungen“ gebe.
Im Jahr von Schnells Antritt seines Ehrenamts als Vorsitzender begeht der Arbeitskreis „ImDialog“ – den Namen gibt es in der Form erst seit 2009 – sein 70-jähriges Bestehen. „Vor 70 Jahren wurde er als Arbeitskreis unter dem Namen ,Dienst an Israel' gegründet. Darin ist noch stark der judenmissionarische Anspruch abzulesen. Heute wird die Mission an Jüdinnen und Juden von allen evangelischen Landeskirchen und der EKD abgelehnt“, erläutert Schnell.
Der Arbeitskreis „ImDialog“ sieht sich dem Dialog mit dem Judentum auf Augenhöhe verpflichtet, „in dem der Arbeitskreis die Treue Gottes im Bund mit seinem ersterwählten Volk Israel bezeugt und er zudem Materialien zur Verfügung stellt und Veranstaltungen organisiert, die binnenkirchlich das Bewusstsein für die einzigartige und grundlegende Verbindung des Christentums mit dem Judentum und den Konsequenzen daraus stärken sollen“, führt Schnell aus.
Pfarrehepaar eint Engagement für Judentum
David Schnell ist verheiratet mit einer Theologin, Melanie Lohwasser. Auch sie übt zwei halbe Stellen aus, zum einen in der Evangelischen Luthergemeinde im Frankfurter Nordend, zum anderen ist sie Seelsorgerin im Altenheim der Henry und Emma Budge-Stiftung in Frankfurt-Seckbach, ein Haus in dem sich „Juden und Nichtjuden gleichermaßen wohlfühlen“, wie es in der Selbstdarstellung heißt und das sich dem Gedenken an die Shoah verpflichtet sieht.
Vor Berufsbeginn waren Schnell und Lohwasser in Jerusalem für ein Jahr. In der Gedenkstätte Yad Vashem hat der neue ImDialog-Vorsitzende unter anderem Lehrmaterialien auf Deutsch aufbereitet. Die andere Hälfte seines Spezialvikariats dort verbrachte er bei der Israel Interfaith Association, die sich dem Austausch zwischen Christen-, Judentum und Islam verschrieben hat.
Schnell ist froh um die auf das Jahr 1991 zurückreichende Erweiterung des Grundartikels durch die Synode der EKHN. Darin wird der bleibende Bund Gottes mit den Jüdinnen und Juden hervorgehoben, der kein Gegensatz, sondern existentieller Bestandteil des christlichen Bekenntnisses zu Jesus Christus ist. Und dass das Reformationsjubiläum 2017 dem Thema Antisemitismus im Protestantismus auch aufgrund des Antreibens von „ImDialog“ nicht auswich, sei ein notwendiger und wichtiger Schritt gewesen.
„Der jüdisch-christliche Dialog sollte innerhalb der Kirche kein Nischenthema von wenigen ,Liebhaber:innen‘ und Spezialist:innen sein“, betont David Schnell, „sondern ein Grundthema, das alle Felder kirchlichen Handelns durchzieht. Nur so kann er seine Wirkung auch außerhalb der Kirche in die Gesellschaft hinein entfalten, als Teil des immens wichtigen Engagements gegen jegliche Form von Antisemitismus und für das friedliche Zusammenleben von Menschen, gleichgültig ob und welcher Religion sie angehören!“