Flucht aus der Ukraine: Endlich in Sicherheit
Es ist eine gastfreundliche Atmosphäre in der hellen Wohnung im Frankfurter Westen. Oksana hat für unser Treffen einen Kuchen gebacken. Olena, Oksanas Mutter, bittet an den Tisch. Beiden Frauen sind die Strapazen der letzten Tage anzusehen.
„Ich habe innerhalb von einer Woche fünf Kilo abgenommen.“ Oksana, die bereits seit 2005 in Deutschland lebt, ist nervös, erschöpft. Auch ihre Kinder spüren, dass etwas anders ist. Sie wundern sich, dass ihre Oma plötzlich auf der Bettcouch im Wohnzimmer übernachtet. „Die letzten Tage waren der reinste Wahnsinn. Mein kleiner Sohn ist noch in Quarantäne. Corona, der Krieg. Jetzt bin ich einfach froh, meine Mutter bei uns hier in Sicherheit zu wissen.“
Olena spricht kein Deutsch. Ihre freundlichen Augen wirken traurig. Sie hat ihr Zuhause zurückgelassen. „Und meinen Mann.“ Bei diesem Satz steigen ihr die Tränen in die Augen. Oksana, die Taschentücher reicht, übersetzt. Dass der Partner ihrer Mutter von Toten berichte. Dass er um jeden Preis ausharren und alles tun wolle, wozu er in der Lage sei. „Auch mein Vater ist noch in der Ukraine. Er will nicht weg.“
Auch Oksana weint jetzt. Ihre Stimme wirkt unfassbar. So, als ob sie von einem schlimmen Traum berichtet. Ihr Vater beschreibe die Lage als dramatisch, sagt Oksana, er erzähle von Angriffen auf Schulen und Krankenhäuser, jungen Männern, die schwer verletzt oder tot auf der Straße liegen. Dass er dieses Leid nicht fassen könne und untätig zusehen müsse. Dass auch er als letzte Option in den Krieg ziehen wolle.
Auch Olena wollte anfangs in der Ukraine bleiben. Sie scheute die Unsicherheiten einer Flucht, hatte Angst. „Ich habe unermüdlich auf sie eingeredet, ihr gesagt, dass ihr Leben in Gefahr sei, wenn sie bleibt.“ Oksana schaffte es schließlich, ihre Mutter zu überzeugen.
Schließlich ist Olena gemeinsam mit einer Freundin von Kiew aus aufgebrochen. Ihre Tochter hat von Deutschland die Route, den Fahrer, den Bustransfer koordiniert. „Die größte Hürde war, die beiden auf die andere Seite des Flusses zu bringen.“ Die Brücken des Dnepr werden stark kontrolliert. „Diversante“, eine kommunistische Bezeichnung für feindliche Agenten oder Saboteure, markieren unauffällig strategische Punkte für die russische Armee. Aus der Luft werden diese dann, meist in der Nacht, beschossen. Die Verbindungen der beiden Ufer zählen dazu.
„Ein alter Schulfreund, heute Straßenkämpfer, hat meine Mutter und ihre Freundin in einer Unterführung aufgegabelt und über viele Seitenstraßen, in denen nicht gekämpft wird, zum Abfahrtsort des Busses gebracht.“ Oksana übersetzt wieder ihre Mutter, die von Sperrstunden erzählt, wie gefährlich diese Transferfahrt zum Bus war und wie groß die Erleichterung, als die beiden Frauen schließlich die Grenze zu Polen erreichten. Wie herzlich sie empfangen wurden, welch große Hilfsbereitschaft die polnischen Nachbar:innen ihnen entgegen brachten. Und von den vielen anderen Frauen mit ihren Kindern, die schlicht zu Fuß unterwegs waren.
Im sicheren Polen ging es weiter nach Warschau und von dort zu einer Raststätte in Deutschland, an der Olena von ihren Kindern in Empfang genommen wurde. Alle waren erleichtert, alle erschöpft, alle weinten und lagen sich in den Armen.
Jetzt, ausgeruht und in Sicherheit, ist Olena wütend, fassungslos und entschlossen: „Wir werden siegen! Unser Volk hält zusammen.“ Gleichzeitig warnt sie aber, dass der „Russische Bär“ nur gemeinsam aufgehalten werden könne. Sie ist überzeugt, dass, sollte die Ukraine fallen, Putin weiterziehen werde. „Putin muss bekämpft werden!“ sagt sie unter Tränen. Es ist ein Hilferuf an die Weltgemeinschaft.
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