„Fürchtet euch nicht!“ – eine Werbeaktion, der die Begründung fehlt
Mit einem Brief an alle evangelischen Haushalte will die hessen-nassauische Kirche im April Mut machen, „sich im Glauben an einen liebenden und zugewandten Gott den eigenen Ängsten zu stellen und diese auch zu überwinden“, wie es im Flyer dazu heißt. Es ist das zwölfte Mal, dass die Kirche mit einer solchen „Impulspost“ die Aufmerksamkeit auf bestimmte Inhalte des christlichen Glaubens lenken will.
„Fürchtet euch nicht“ ist das Motto, es trifft die Stimmung der Zeit. Nicht wenige Menschen haben den Eindruck, trotz relativen Wohlstandes am Abgrund zu stehen, weil es überall bedrohlich grummelt: Der Rechtspopulismus erstarkt in Europa, ein amerikanischer Präsident prahlt mit der Größe seines „Atomknopfes“, die Welt plagt sich mit Kriegen, die jedes Maß und jede Menschlichkeit verloren haben. Auf die Aktion werden in der Grundfarbe Grün Banner und Fahnen mit dem Motto an kirchlichen Gebäuden hinweisen. Plakate sollen mit Texten wie „Angst ist die andere Hälfte von Mut“ oder „Viele glauben nichts, aber fürchten alles“ für das Thema werben. Gleichzeitig sollen Aktionen in den Kirchengemeinden das Thema aufgreifen.
Für theologisch bewanderte Christen ist das ein tolles Motto. Es greift die entscheidenden Worte der Weihnachtsgeschichte auf, nämlich die des Engels an die Hirten auf den Feldern bei Bethlehem: „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren!“ Und genauso die entscheidenden Worte an Ostern, die des Engels im leeren Grab Jesu: „Fürchtet euch nicht, denn er ist auferstanden!“
Ein echtes Engelwort also, die Eröffnungsmelodie des Evangeliums sozusagen, der endlich frohmachenden Botschaft, dass Gott stärker ist als alles, was Furcht erregt. „Fürchtet euch nicht!“ – das ist der Impuls zur Nächstenliebe, die sich von denen, die noch immer das Fürchten lehren, nicht mehr bange machen lässt.
Das Motto ermutigt, nicht wie das Kaninchen im Angesicht der Schlange zu erstarren, sondern der Furcht etwas entgegenzusetzen. Mich erinnert es an einen meiner Lieblingssätze: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.“ So Ernst Bloch in seinem Vorwort zu seinem Buch „Prinzip Hoffnung“. Das Motto trifft also ins Schwarze.
Schade ist allerdings, dass ich meine Begeisterung hier erklären muss. In den säkularen Straßen Frankfurts ist „Fürchte dich nicht!“ einfach nur ein Appell, der als gut gemeinter Ratschlag, ohne Begründung und dazu noch in einer antiquierten Sprache, wenig bewirken kann: Warum nochmal soll ich mich nicht fürchten? Ist das vielleicht eine Plakataktion für mehr „positives Denken“?
Außerdem ist es ja gar nicht so, dass alle sich ständig fürchten. Wir haben Demokratie und Meinungsfreiheit, Selbsthilfegruppen und Netzwerk-Lobby. Umweltschutzorganisationen, kritische Journalistinnen und Ärzte ohne Grenzen zeigen bewundernswerten Mut, ebenso wie Menschen, die sich – alleinerziehend oder mit Niedriglohn – täglich den Herausforderungen des Lebens stellen.
Natürlich bleibt noch viel Existentielles, Persönliches, das tatsächlich Angst macht, eine lebensverändernde Krankheit etwa. Aber dass „Fürchte dich nicht!“ nicht als Appell, sondern als Zusage gemeint ist – „Gott ist auf deiner Seite und trägt dein Leben. Auf dieser Basis kannst du dich auch schwierigen Themen stellen“ – erfährt man, wenn überhaupt, nur, wenn man selbst aktiv wird. Wenn man also Texte liest, Gespräche führt, Gottesdienste besucht.
Wer jedoch in einer Kirchengemeinde weniger zu Hause ist, braucht gegen die Schwellenangst vermutlich noch einen zusätzlichen Impuls: „Fürchte dich nicht!“
1 Kommentar
Wenn ich das Plakat mit der sehr traurigen Person sehe, fühle ich mich schon gar nicht angesprochen. Da ist eine andere Klientel gemeint - das ist mein erster Eindruck. Ich habe gerade in meiner Passions- und Osterausstellung mit vielen Menschen gesprochen und viel über religiöse Fragen geredet - Furcht oder Angst war da kein Thema. Ich kann mir denken, dass Viele an der politischen Lage Angst oder Besorgnis festmachen, aber dazu passt die Darstellung nicht und spricht vermutlich auch nicht viele an. Schade für diese, wieder sehr teure Aktion! Darüber werden die Menschen eher reden.