Eine frische Brise weht durch das Dialogzelt
Demokratie ist nicht selbstverständlich, es gehe darum zu erkennen „welche Errungenschaft wir haben“ und die Pflanze „Demokratie“ zu hegen, sagte Frankfurts Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, die zugleich Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, gestern Abend bei der Eröffnung des Dialogzeltes am Main.
Religion und Demokratie – darum geht es noch bis Sonntag in dem weißen Zelt, das mit Fotos des DiverCity Fotografen Rafael Herlich dekoriert ist. Ein interreligiöses Team, dessen Geschäftsführerin die evangelische Pfarrerin für Interreligiösen Dialog im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, Susanna Faust Kallenberg ist, hat in früheren Jahren in Bockenheim ein Zelt für interreligiösen Austausch aufgebaut, in Corona-Zeiten wechselte der Dialog ins Netz und nun gibt es beides, Diskussion, Musik, Gebete vor Ort und Übertragungen via Youtube.
Eine gute Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen
Beim Auftakt saßen gestern Abend Politiker:innen und Religionsvertreter:innen Seite an Seite auf dem Podium des Zeltes, der Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Rahn, moderierte die Runde. Von der Suche nach Wahrheit, von notwendigem Streit war die Rede, von erforderlichem Respekt. Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Hessen; sagte aber auch: Björn Höcke bringe er keinen Respekt entgegen und der Begriff Barmherzigkeit, der in den vertretenen christlichen, jüdischen und muslimischen Religionen eine zentrale Rolle spiele, sei hier unangebracht.
Elisabeth Kula, Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag, wünschte sich mehr Engagement der Kirchen für sozialen Ausgleich. Ertugrul Sahin (Heidelberg Center for Cultural Heritage), neben Faust Kallenberg und der Vorsitzenden der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Frankfurt, Petra Kunik, Teil des Kernteams des Zeltes, wünschte sich, dass „Politiker nicht nur vor Wahlen Moscheen besuchen“. Thorsten Lieb, FDP-Bundestagsabgeordneter, erinnerte an seine katholischen Wurzeln, die auch Widerspruch enthielten. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Mirjam Schmidt, erzählte von ihrem Herkommen aus einem Pfarrhaus.
Dass Demokratie nicht nur etwas für den politischen Bereich, sondern auch für die Kirche von Bedeutung sei, betonte der evangelische Stadtdekan von Frankfurt und Offenbach, Achim Knecht. Turgut Yüksel, der im Herbst wieder für die SPD bei der Landtagswahl antritt, legte ein Wort für die Demokratie ein, die vor Ort gepflegt wird, in Ortsbeiräten, in der Kommune. Kaweh Nemati, der für die CDU nach Wiesbaden in den Landtag möchte, zitierte seinen Slogan „Zuhören und Anpacken“, er sprach aber auch von dem iranischen Mullah-Regime, in dem sein Vater umkam. Persönliches, Nachdenkliches und viel Offenheit trafen in der großen Runde aufeinander. Nura Frömel, unlängst gewählte neue Vorsitzende des Frankfurter Rats der Religionen, sagte, „Wir brauchen mehr solcher Räume“ – in denen sich die Menschen begegnen und ihre Positionen vorstellen und zur Diskussion bringen.
Die Zeltwände lassen breite Lücken, sie erlauben den Blick auf den Eisernen Steg, eine frische Brise Luft weht herein. Passantinnen und Passanten schauen während der Veranstaltungen herein. Heute Morgen blickten sie auf Schüler:innen der Carl-von Weinberg-Schule, die sich informierten, schauten mittags auf Medienschaffende, die über die Schwierigkeiten der Berichterstattung über Religion in Print und elektronischen Medien sprachen.
Dem Kleinerwerden von Freiräumen etwas entgegensetzen
Zu den Mitbetreibern des Dialogzeltes gehört das Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Evangelischen Kirche von Kurhessen und Waldeck (EKKW) „Das Dialogzelt ist eine große Chance für die Stadt Frankfurt, sich mit der Vielfalt der Religionen zu beschäftigen. Auch Streiten ist hier erlaubt – aber bitte sportlich bleiben!“, sagt Peter Noss, Referent für christlich-jüdischen Dialog des Zentrum Oekumene und Sportbeauftragter der EKHN. Des Nachts bewachen Jugendliche das Zelt, dazu gibt es Programm, Musik, Gebete. Morgens wird mit Sport gestartet, am Samstag beispielsweise von 9 bis 10 Uhr Yoga am Main.
Umgeben ist das Zelt von Liegestühlen, Bierbänke und Tische laden zum Rasten und Verzehr ein, Feruz Meral liefert das Catering vom anderen Mainufer. Neben dem Open Air Café gibt es Informationsstände der Religionsgemeinschaften.
„Für das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft bietet der interreligiöse Dialog viele gute Praxisbespiele – ganz konkret beim Zelt der Religionen: mit Musik-, Kulturprogramm und Diskussionen: Raum, einander zuzuhören, sich respektvoll wahrzunehmen, Unterschiede auszuhalten und sich dabei auch kritisch zu befragen“, äußert Andreas Goetze, Referent Interreligiöser Dialog, Schwerpunkt Islam, im Zentrum Oekumene.
„In einer Zeit, in der weltweit die Freiräume für zivilgesellschaftliches Engagement kleiner werden, setzt das Dialogzelt mit seiner Demokratiekampagne ein wichtiges Zeichen. Eine lebendige Demokratie ist Grundvoraussetzung dafür, dass Arme und Benachteiligte gehört werden und Entwicklung nicht nur bei den Privilegierten ankommt“, pflichtet Brigitte Molter, Referentin Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe, Zentrum Oekumene, bei.
„Hier gibt es ganz viele Veranstaltungen von Menschenrechten bis Musik“, wirbt Birgitta Sassin, Referat Muttersprachliche Gemeinden und Christlich-Islamischer Dialog bei der Katholischen Stadtkirche und lädt dazu ein, vorbeizuschauen bis zum 16. Juli, am letzten Tag findet hier der Tag der Religionen statt, zu dem der Rat der Religionen in Zusammenarbeit mit dem Amt für multikulturelle Angelegenheiten einlädt.
Träger der Initiative „Unter einem Zelt“ sind: Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, Katholische Stadtkirche Frankfurt, Gesellschaft für Jüdisch-Christliche Zusammenarbeit Frankfurt und Hessen, Rat der Religionen Frankfurt, Beyond - European Network for Religious Progressives, Internationaler Konvent Rhein-Main, Arbeitsgemeinschaft christlicher Christlicher Kirchen (ACK Frankfurt), Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen und Waldeck, Heidelberg Center for Cultural Heritage, Universität Heidelberg. Schirmherrin des Projektes ist Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg.
Das Programm ist zu finden unter: www.unter-einem-zelt.de