Ein Kommunikationstalent geht in den Ruhestand – aber nicht ganz
Selten, fast nie, endet ein Treffen mit Jeffrey Myers, ohne dass das Gegenüber etwas mitnimmt: eine Postkarte mit einem Reisesegen, ein Comic – der US-deutsche Theologe lässt sich immer was einfallen. Dieses Mal hat der 65 Jahre alte frühere Frankfurter Stadtkirchenpfarrer eine CD mitgebracht, die rund um das Reformationsjubiläum produziert wurde: „Von der Freiheit“ steht auf dem Cover, Lieder von Leuten wie Philipp Poisel, Christina Stürmer, auch von den Sportfreunden Stiller enthält der Tonträger. E- oder U-Kultur? Für Myers keine Gesinnungsfrage. Der Titel des Präsents – eine Anspielung darauf, dass der in Wichita, Kansas, Geborene Ende des Monats in Ruhestand geht? „Nein“, sagt er und lacht, mit der Freiheit hatte er Zeit seines Berufslebens keine Probleme.
Einst ließ Myers einer Banklehre ein Studium der Englischen Literatur folgen, erst dann kam die Theologie. Eine Zeit an der theologischen Fakultät in Edinburgh sorgte letztendlich dafür, dass der US-Amerikaner seit Jahrzehnten in Frankfurt lebt: Im Rahmen seines Studiums lernte er Andrea Braunberger, heute mit Myers als zweiten Nachnamen, kennen. Zuerst folgte sie ihm in die USA, als er in Philadelphia seinen ersten Posten antrat. Dann – „wir dachten es ist für drei, vier Jahre“, kam das Theologenpaar an den Main.
Von 1988 bis 2010 war Jeffrey Myers Stadtkirchenpfarrer an der Alten Nikolaikirche auf dem Römerberg, seine Frau ist dort seit langem Gemeindepfarrerin. Neben dem Stadtkirchenamt, wirkte er auch als Pfarrer an der Frankfurter Messe, bis heute trifft man Jeffrey Myers dort bei der alljährlichen Hochzeitsmesse am Stand der Evangelischen Kirche. Für vier Jahre – von 2011 bis 2015 – wechselte der Theologe als Stadtkirchenpfarrer nach Wiesbaden, arbeitete an der dortigen Marktkirche, gleich neben dem Hessischen Landtag. Zuletzt verstärkte er das Projektbüro der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau rund um das Reformationsjubiläum und war in der Öffentlichkeitsarbeit der Kirche tätig.
Gerne auch mal eine Mail zu Jim Morrison
Myers ist ein Kommunikationstalent. Zweifelsohne. Mit oft historisch grundierten Meldungen erfreute er ortsansässige Redaktionen und den großen Kreis der Menschen, die seine E-Mailnachrichten beziehen. Dieser Tage beispielsweise erinnerte er in einer Nachricht daran, dass Jim Morrison von den Doors vor 50 Jahren, im Sommer 1968, nach Frankfurt kam, auf der Kanzel der evangelischen Alten Nikolaikirche stand und die Orgel spielte. „Ja, die Leute sagen immer, ich sollte einen Blog machen“, erzählt Jeffrey „Jeff“ Myers, er mailt lieber. Vor zehn Jahren richtete er ein Facebookaccount ein und ließ es bald wieder einschlafen, Fax findet er immer noch eine feine Sache, Whatsapp ist nichts für ihn. „Das persönliche Gespräch ist immer noch mein Medium“, sagt der Pfarrer, der ab August seine Interpretation des Wortes „Ruhestand“ leben wird.
Zuerst will er ein wenig kürzertreten, Zeit haben für die Ehefrau, Sohn Marc, der in Frankfurt studiert, für Freunde, für Dinge, die in den Berufsjahren zu kurz kamen. Bewegung ist vorgesehen: mit der Golden Retriever Hündin, im Fitness Studio. Außerdem steht ein Umzug an: Das Pfarrhaus der Evangelischen Sankt Paulsgemeinde, in der Andrea Braunberger-Myers tätig ist, wird zukünftig in der neuen Altstadt angesiedelt sein. Eine gute Gelegenheit, zu Beginn des Ruhestandes das Arbeitszimmer auszumisten.
Aber: Bei einzelnen Predigtanfragen hat Myers bereits zugesagt, Vorträge sind angedacht und Führungen zu Luther durch Frankfurts Innenstadt. Werben muss er dafür nicht, die Rundgänge sind regelmäßig ausgebucht. Hier nimmt er viele mit, die sonst nicht so häufig in die Kirche gehen. Vor Jahren hat Jeffrey Myers meditativ-historische Rundgänge durch Frankfurt angeboten, bei denen ein Kirchenfenster oder ein Altar, auch mal ein Brückenelement, eine zentrale Rolle spielt. In jüngster Zeit kam er nicht mehr dazu, aber egal, für jede seiner Führung gelte: „Wir haben immer Christus in der Mitte oder an unserer Seite.“
Mit hörbarem amerikanischen Einschlag sagt der Theologe Sätze wie diesen, schaut sein Gegenüber an, der Blick scheint freundlich zu sagen: „Ist doch so.“ Als Erklärungen für dieses gewinnende Eintreten für seinen Glauben bietet Jeffrey Myers an: „Wir Amerikaner wachsen damit auf, dass wir auf die Menschen zugehen.“ Da die Kirche dort keine Volkskirche sei, müsse sie auch auf die Leute zugehen.
Die besondere Bedeutung des Anfangs
Gefragt, was er sich für die Kirche hier in Deutschland wünscht, kommt prompt die Antwort: „Mehr Mut“. Von Anklage schwingt da nichts mit. Myers sieht die Gegenwart als eine Phase der Veränderung, vergleicht sie mit dem Reformationszeitalter: Was damals Gutenberg in Gang setzte, bewege heute die Digitalisierung. Religiöse Themen stellten sich in lange nicht gekannter Form.
Trump – nach dem er ständig gefragt wird – findet Myers „ein Trauerthema“. Im nächsten Atemzug erwähnt er seine Nichten und Neffen, die sich an der Uni plötzlich engagieren, die Metoo-Bewegung, den Protest gegen das Auseinanderreißen der Familien an der Grenze zu Mexiko: „Ich bin hoffnungsvoll, aber nicht immer optimistisch,“ beschreibt er seine Meinung zu den aktuellen Entwicklungen in den USA. Hoffnung gibt ihm nicht zuletzt sein Glauben.
Mit Blick auf sich und den Beginn des Ruhestandes zitiert Myers den amerikanischen Dichter T.S. Eliot „"In meinem Anfang ist mein Ende - in meinem Ende ist mein Anfang." Demnächst macht Myers sich an das Verfassen eines Buches, um Anfänge, erste Sätze, soll es gehen. Nicht nur bei einer Predigt entscheide der Einstieg, ob die Leute bereit sind, mitzugehen.
Jeffrey Myers freut sich auf den Einstieg in die neue Lebensphase.