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Demokratie braucht Rückenwind

Happy Birthday! Das deutsche Grundgesetz ist in seinem 75. Jahr wichtiger denn je – denn Freiheit und Mitbestimmung sind keine Selbstläufer.

Interreligiöse Plakataktion am Eisernen Steg mit Statements aus verschiedenen Religionsgemeinschaften zur Demokratie. | Foto: Rolf Oeser
Interreligiöse Plakataktion am Eisernen Steg mit Statements aus verschiedenen Religionsgemeinschaften zur Demokratie. | Foto: Rolf Oeser

Es muss im Mai 1994 gewesen sein, als unser Sozialkundelehrer Herr B. mit einem Stapel daumendicker Bücher zur Tür herein kam. Er teilte sie uns Zehntklässler:innen mit ernstem Gesicht aus und sagte: „Das ist das Grundgesetz, es wird in euerm Leben wichtig sein und hoffentlich Bestand haben. 45 Jahre ist es jetzt alt, und wir alle sind dafür verantwortlich, dass es noch viel älter wird.“

Staatstragende Worte in einem ungelüfteten Klassenzimmer voller Teenager, aber sie ließen uns aufhorchen. Und sie passten, das spürten wir sofort. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, was für ein Satz! „Ihr müsst es nicht von vorne bis hinten auswendig lernen, aber schaut gerne immer mal rein“, ermutigte uns Herr B. Das ist 30 Jahre her. Ich habe das Büchlein mit dem Adler immer noch hier liegen, und gerade während der diversen Asyldebatten in all den Jahren immer wieder hineingelesen.

„Happy Birthday, Grundgesetz!“, heißt es nun wieder, was mehr als angemessen ist. 75 Kerzen auf der Verfassungs-Torte sind es in diesem Jahr, manche wähnen sie etwas flackernd, und es wirkt fast so, als brauchten sie uns inzwischen mehr zur Stütze als umgekehrt. Das Grundgesetz stellt immer noch die Weichen für unser Zusammenleben und die demokratische Basis in Deutschland. Wir müssten seine Paragrafen also mit aller Kraft ehren, feiern und seine Botschaft durch tägliches Handeln mit Leben füllen. Manchmal braucht die Demokratie eben Rückenwind, denn Selbstläufer sind Werte wie Freiheit und Mitbestimmung nicht, auch wenn es damals, in den Klassenzimmern der 1990er, noch anders wirkte. Nichts ist mehr selbstverständlich in Zeiten, in denen Rechtspopulisten immer mehr digitale und analoge Räume wie selbstverständlich bespielen. Das Grundgesetz dient allen Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland zu Hause sind, es ist ein Schutzschild und bildet das Fundament, auf dem wir sicher miteinander leben können.

Und dann gibt es diesen Sommer hoffentlich noch ein bisschen mehr Rückenwind: Vom 6. bis zum 9. Juni dürfen EU-Bürger:innen ihre Stimme zur Europawahl abgeben, aber dafür müssen wir alle mitmachen. Gut, dass es, von der Diakonie in Frankfurt und Offenbach etwa, Intitiativen gibt, auch Wohnsitzlose zur Wahlurne zu bringen. Denn alle unsere Stimmen entscheiden darüber, welchen Kurs die EU in den kommenden fünf Jahren einschlägt. Wir entscheiden darüber, in was für einem Europa wir leben wollen.

Wir dürfen nicht schweigen, wenn hart erkämpfte Grundwerte in Zweifel gestellt werden, und dafür steht das Büchlein, das bis heute an alle Schüler:innen ausgeteilt wird – was hoffentlich noch lange so bleiben wird. Es gehört zur DNA unserer Demokratie. Halten wir es in Ehren.


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Anne Lemhöfer 145 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

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