Das Reformationsfest ist 2021 kein Tag der Spaltung
„Verzeihender Gott. Am heutigen Reformationstag erinnern wir uns, dass es im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder gegenseitige Verletzungen zwischen den christlichen Konfessionen gegeben hat. Jede meinte, die alleinige Wahrheit zu besitzen. Aber 500 Jahre Trennung sind genug. Liebender Gott, hilf uns die Verletzungen zu vergeben und zu lernen, damit wir durch deinen Geist der Freiheit als deine geliebten Kinder befähigt sind, Versöhnung und Eintracht zu wagen“, so begannen am Reformationstag 2021 die Fürbitten in der evangelischen Kirche in Zeilsheim – vorgetragen von einem Gemeindemitglied, daneben standen im Altarraum Seite an Seite der evangelische Gemeindepfarrer Ulrich Matthei sowie Gemeindereferent Martin Roßbach von der katholischen Pfarrei Sankt Margareta, die im Frankfurter Westen und damit auch in Zeilsheim aktiv ist. Gefeiert wurde das Abendmahl „in ökumenischer Sensibilität“.
Ein besonderes Reformationswochenende für die Gemeinde: Professor Konrad Raiser, 83, langjähriger Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, aus Genf, war zu Gast. Am Samstag sprach er im Rahmen eines Studientags über das Thema „Die Kirchen auf dem Weg zur Einheit“, rund 40 Personen nahmen daran teil, darunter die frühere Pröpstin Gabriele Scherle, ihr Ehemann, der Theologieprofessor Peter Scherle, Prodekan Holger Kamlah hielt ein Grußwort. Tags darauf dann die Predigt Raisers, der nicht nur Theologe ist, sondern auch in Harvard Soziologie und Sozialpsychologie belegte, zum Thema „Freiheit" – für ihn kein Widerspruch zum Titel des Studientags am Samstag. Für den global denkenden und heute in Berlin lebenden Raiser ist „Gemeinschaft ein dynamischer Begriff“, keine Trutzburg.
Und so klang auch Martin Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“, gesungen vom Kirchenchor von der Empore herab, nicht nach dicken Mauern und Wall, sondern nach Neuinterpretation, es hatte etwas von Wechselgesang. Die Liturgie des Gottesdienstes gestaltete die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) Zeilsheim, der sich Gemeindepfarrer Matthei eng verbunden sieht. Ob in Südamerika, in Afrika oder auch Europa, die Musik hat Raiser stets als eine Brücke der Ökumene empfunden, „sie ist für mich Teil der gelebten Spiritualität“. Schwieriger sei es, die Worte Paul Gerhardts oder auch die Luthers „Konfis“ verständlich zu machen, zeigte sich der Ökumene-Theologe mit Matthei einig im Gespräch nach dem Gottesdienst.
In seiner Predigt knüpfte Raiser an die berühmte Doppelthese Luthers an: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan; und: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“. Luthers Antisemitismus, manches Postulat der Freiheit der EKD, Raisers Predigt kündete von Freiheit des Denkens ohne Heldenmythos und von Gläubigen, die nicht zu unbedachter Gefolgschaft verpflichtet sind.
504 Jahre nach Luthers 95 Thesen wurde auch in der Sankt Katharinenkirche an der Hauptwache die Ökumene gepflegt, schon eine Tradition für die evangelische und die katholische Kirche Frankfurts. Hier Seite an Seite die beiden Stadtdekane: Johannes zu Eltz, der katholische, „wieder einmal“ zu Gast in dem evangelischen Gotteshaus an der Hauptwache, der evangelische Stadtdekan Achim Knecht neben ihm auf der Kirchenbank und vor dem Altar. Über Galater 5, 1-6 predigten die beiden, auch hier ging es um die Freiheit eines Christenmenschen, um die Freiheit zum „ja", auch die zum „nein". Grundlagen, Freiheit auszuleben wie wirtschaftliche, sprach Achim Knecht an. Johannes zu Eltz benannte Frömmigkeit als eine zentrale Triebkraft der Freiheit in seiner Predigt (Manuskript der Predigten).
2021 ist das Reformationsfest kein Tag der Spaltung, sondern des Dialogs. Wohlweislich war in den Fürbitten in Zeilsheim von „Eintracht", nicht „Vereinheitlichung" die Rede.