An die Urnen oder Briefkästen
Am 13. Juni werden in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) die Mitglieder zu den Wahlurnen gerufen, um neue Kirchenvorstände zu bestimmen – vor Ort, online oder auch per Brief kann abgestimmt werden, welche Ehrenamtlichen in den kommenden sechs Jahren die Geschicke der Gemeinde maßgeblich lenken sollen.
Auch in elf Offenbacher Gemeinden ist das Gremium neu zu besetzen. In Corona-Zeiten ist bei der Wahlvorbereitung einiges anders: die Suche nach Kandidierenden, aber eben auch die Abstimmung. Jede Gemeinde entscheidet über das Verfahren: In der Evangelischen Mirjamgemeinde beispielsweise, deren Einzugsgebiet in den Stadtteilen Lauterborn, Lindenfeld, Mathildenviertel, Musikerviertel, Senefelderquartier und in der Innenstadt liegt, hat der Kirchenvorstand beschlossen, dass die Voten ausschließlich in Briefform abgegeben werden können, in der Gustav-Adolf-Gemeinde, Bürgel, kann per Post oder Einwurf, aber auch am Sonntag, 13. Juni, von 10 bis 16 Uhr in einem Nebenraum der Kirche abgestimmt werden.
„Bei uns werden schon eifrig die Briefwahlunterlagen angefragt“, erzählt Pfarrerin Amina Bruch-Cincar von der Gustav-Adolf-Gemeinde. Drei neue Personen haben sich aufstellen lassen: Ein 40-jähriger Sozialpädagoge, der nach Offenbach gezogen ist und bereits in seiner alten Heimat kirchlich engagiert war, eine „Kindergarten-Mama“ und eine Pensionärin, die beim Kirchencafé und auch im Eine Welt-Laden mitwirkt „und sich jetzt auch den Kirchenvorstand vorstellen kann“. Mit ihnen umfasst die Liste der Kandidierenden zehn Personen, genau so viele wie Plätze zu vergeben sind. Die Mutter des Kindergartenkindes, Pressereferentin eines Frankfurter Museums, hat Bruch-Cincar über Taufgespräche kennengelernt, „das sind wichtige Kontakte“.
Die Pfarrerin freut, dass die Menschen, die in den vergangenen sechs Jahren nachgerückt sind, sich alle wieder haben aufstellen lassen. Was ihr auch gefällt ist, dass gerade die, „die noch nicht so lange dabei sind, in dem Team ,Gottesdienst anders‘ mitmachen“ – Gottesdienst kein Auslaufmodell, sondern ein Herzstück kirchlichen Lebens – so sehen es anscheinend auch die „Neuen“ in der Gustav-Adolf-Gemeinde.
In der Evangelischen Mirjamgemeinde war Pfarrer Ulrich Knödler durchaus ungewiss, ob er genügend Kandidierende finden würde. Nicht nur Corona erschwerte die Ansprache von möglichen Interessierten, auch die personelle Lage. Seit Ende vergangenen Jahres sind 1,75 Pfarrstellen vakant.
Die Mirjamgemeinde ist aus einer Fusion von vier Gemeinden hervorgegangen. Knödler sieht die umfassende Liste „als ein Ergebnis des langen, auch mühsamen Weges des Zusammengehens“. Dass die Konflikte nicht im Rückzug mündeten, schätzt er als große Errungenschaft.
Bei den Kandidierenden liegt in der Mirjamgemeinde der Schwerpunkt auf zwei Generationen: den Unter-30-Jährigen und den Über 60-Jährigen. Die drei jungen Männer, die sich auf die Liste haben setzen lassen, „kommen alle aus dem Bauch der Paula“, dem Jugendzentrum im Paul-Gerhardt-Haus an der Lortzingstraße. Zu den Pensionierten zählt beispielsweise eine ehemalige Grundschullehrerin, die besonders die Kirchenmusik in der Lutherkirche schätzt, wo die Offenbacher Kantorei beheimatet ist. Diese Arbeit will sie unterstützen. Es gibt unterschiedliche Wurzeln, aber keine Grenzziehung: Aufgestellt ist etwa auch eine 29-Jährige, „die habe ich vor 13, 14 Jahren konfirmiert“, erzählt Knödler. Sie ist sowohl der Kirchenmusik als auch dem Paul-Gerhardt-Haus verbunden, zudem engagiert sie sich für die ökumenische stadtweite Aktion „Essen und Wärme“.
Zur jüngeren Generation in der Mirjamgemeinde gehört ebenfalls ein 30-Jähriger: „Im Jahr 2016 wurde ich als iranischer Flüchtling in Deutschland mit offenen Armen aufgenommen. Die Kirche hat mich und meine Familie von Anfang an unterstützt, uns in vielen Fragen geholfen und in besonderem Maße Halt und Kraft gegeben“, heißt es in der Übersicht der Kandidierenden im Gemeindebrief. Vor zwei Jahren zog er mit seiner Familie von Nordhessen nach Offenbach. „Er ist eine große Freude“, sagt der Gemeindepfarrer – und hilfreich: Allwöchentlich sorgt der aus dem Iran stammende Breitbandelektroniker zusammen mit einem 14 Jahre alten Jugendlichen aus der Gemeinde dafür, dass der Gottesdienst in die Wohnzimmer gestreamt wird.
Amina Bruch-Cincar und Ulrich Knödler werben mit ihren Gemeinden für die anstehenden Wahlen. Die Hoffnung, dass die Zahl der abgegebenen Stimmen zehn Prozent überschreitet, ist nicht groß. Die Möglichkeit der Briefwahl gab es zwar schon in früheren Zeiten – aber, wer weiß, vielleicht rückt sie aktuell mehr ins Bewusstsein.