Altsein heißt nicht abgeschoben sein
Vor dem Fenster des Büros von Pfarrerin Silke Peters liegt ein rotes Kinderfahrrad im Sand. Stimmen schallen ins Büro. „Ja, die Leute fragen am Telefon manchmal, ob ich in einem Schwimmbad sitze“, erzählt die 50-Jährige und lacht. Tatsächlich sitzt sie am Ende eines Flurs im Haus Saalburg der Agaplesion Markus Diakonie, einem Seniorenzentrum mit Wohn- und Pflegebereich. Nachwuchsbetreuung und das Haus für Betagte pflegen eine gute Nachbarschaft. Das fröhliche Stimmengwirr ist gewollt, die Älteren im Haus sollen das Gefühl haben, mitten im Leben zu wohnen.
Peters ist seit 2015 hier im Herzen von Frankfurt-Bornheim als Seelsorgerin für Seniorinnen und Senioren tätig, zuerst auf halber, neuerdings auf ganzer Stelle. Geändert haben sich vor einigen Monaten nicht nur ihre Arbeitszeiten, sondern auch ihr Auftrag: aus Altenheimseelsorge wurde Altenseelsorge.
Weiterhin gehört es zu ihren Aufgaben, im Haus Saalburg unterwegs zu sein, in der Kapelle mit den farbigen Fenstern aus der früheren Heilandskirche Gottesdienste zu feiern. Der Fokus der Pfarrerin hat sich jedoch erweitert, er richtet sich verstärkt auf Menschen, die noch in den eigenen vier Wänden wohnen. Im Auftrag des Stadtdekanats stärkt Peters die Altenseelsorge in den Kirchengemeinden. Sie berät Pfarrerinnen und Pfarrer, Ehrenamtliche bitten um Einzelgespräche, können unter ihren Schulungen auswählen. Ein dicker Ordner „Besuchsdienstarbeit“ liegt auf ihrem Schreibtisch. Peters hat vor, noch weitere Blätter abzuheften.
Seniorenkaffee ist gut – aber nicht alles
Die Theologin, Mutter von drei Kindern und mit dem Pfarrer der Gethsemanegemeinde, Thorsten Peters, verheiratet, kennt sich mit gemeindlicher Seniorenarbeit aus. Sie sagt, „mein Herz schlägt für den Seniorenkaffee, schließlich sind Kontakte ganz entscheidend“. Aber es geht auch noch um mehr. Entsprechend ist das Verständnis der Landeskirche, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. 2013 wurde in der EKHN ein neues Konzept verabschiedet, das vereinfacht auf die Leitlinie „zurück in die Gemeinden, nicht im Altenheim verharren“ gebracht werden kann. Um „Selbst- und Mitverantwortung in sorgenden Gemeinden“ gehe es der EKHN, heißt es in einem Bericht der Kirchenleitung aus dem Jahr 2017.
„Sorgende Gemeinden“ ist ein Begriff, dem Peters sich bei ihrer neuen Tätigkeit verbunden fühlt. Wenn die Menschen zurückschauen, was habe ich aus meinem Leben gemacht, wenn sie grübeln, wie geht es nach dem Tod weiter, dann müsse Kirche zur Stelle sein. Als Pfarrerin werde sie mit religiösen Fragen konfrontiert. Aber nicht nur. Persönliche Ängste, Zweifel, auch Hoffnungen, der Wunsch nach Versöhnung noch zu Lebzeiten - vieles spiele in die Altenseelsorge hinein. Die andere Seite ist das Durchsetzen von Teilhabe, das findet Peters ebenso wichtig wie Begleitung.
„Altwerden ist nicht unbedingt schön“
Über Konzeptionelles in Sachen Altenarbeit macht sich Silke Peters seit Jahren Gedanken. Nach der Geburt des dritten Sohnes „dachte ich daran, mich umzuorientieren“, erzählt die gebürtige Frankfurterin, die in ihrer Heimatstadt und in Marburg studiert hat. Sie überlegte, verstärkt konzeptionell zu arbeiten und stieg ein bei dem Projekt des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau zum Thema „Wechselbeziehungen zwischen Religiosität und Alter(n) in Diakonie und Kirche“ sowie bei der Studie „Spiritualität in der Pflege“.
Die Pfarrerin, weißes T-Shirt, schwarz-weiß gemusterter Sommerrock, ist keine, die Girlanden windet. Mit energischem Blick sagt sie auch mal Sätze wie „Altwerden ist nicht unbedingt schön“. Erläuternd fügt sie hinzu: „Es wird nicht mehr, es wird weniger“, so erlebten es die Menschen. Für dieses Empfinden will sie ein offenes Ohr haben und die Frauen und Männer in ihrem Selbstwertgefühl stärken. Nüchternheit trifft auf Empathie und Zuwendung. Mit Entsetzen spricht Peters – und da sitzt sie sehr aufrecht, rückt fast auf die Stuhlkante – von einer zunehmenden Verharmlosung von Suiziden im Alter. So als wäre ein Leben, das beschwerlich geworden ist, nicht von Bedeutung, sondern zum Wegwerfen.
Peters engagiert sich im Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention. Dem Frankfurter Netzwerk für Ethik in der Altenpflege gehört sie an. Einen Moment überlegt Peters angesichts der Frage, ob sie sich als Lobbyistin für Senioren versteht? „Nein, Anwältin“, lautet nach kurzem Bedenken ihre Antwort.
Wohnen auch für Seniorinnen und Senioren in Frankfurt bezahlbar anzubieten, sieht die Pfarrerin als eine drängende Zukunftsfrage. Die im vergangenen Jahr aktualisierten Pflegestärkungsgesetze unterstützten den Verbleib im Zuhause, aber das müsse auch finanziell möglich sein. Dafür beispielsweise will sie Anwältin sein. Die Pfarrerin will alles tun, damit alte Menschen sich in Frankfurt wohlfühlen: Mittendrin im Geschehen, egal ob zu Hause oder in Einrichtungen wie dem Haus Saalburg. Zwischen Fahrradklingeln, Versatzstücken aus Autoradios und fernen Gastronomiegerüchen.