Transsexualität ist schöpfungsgemäß, sagt Kirchenpräsident Jung
Andere geschlechtliche Orientierungen seien dem „normalen“ Frau- und Mannsein gegenüber nicht als defizitär zu beurteilen, sagte der Theologe in seinem Impulsvortrag beim Kongress „Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften“. Zum 500. Jubiläum der Reformation „sollte die evangelische Kirche einen Beitrag dazu leisten, dass Diskriminierung aufgrund von geschlechtlicher oder sexueller Identität und Orientierung ein Ende hat“, regte Jung an. Menschen jeglichen Geschlechts und verschiedener sexueller Prägung sollten sich „von Gott geliebt und angenommen fühlen“.
Transsexualität hat biologische Ursachen
Die international besetzte Tagung wollte Theologie und Neurowissenschaften miteinander ins Gespräch bringen. Transsexualität gilt heute wissenschaftlich betrachtet nicht mehr als „psychologische Störung“, sondern als natürliche Variante. So erläuterte der Neurowissenschaftler Mark Solms von der Universität Kapstadt in seinem Einführungsvortrag, dass es für Transsexualität genetische Ursachen gebe. Der Neurobiologe Dick Swaab von der Universität Amsterdam zeigte, dass sich Transsexualität auch an der Art des Gehirns ablesen lasse: Transfrauen haben „weibliche“, Transmänner „männliche“ Gehirne.
Wenn es aber biologisch nachweisbare, also „natürliche“ Ursachen dafür gibt, dass Menschen von sich sagen, sie seien Frauen beziehungsweise Männer, obwohl ihre körperliche Erscheinung dem zu widersprechen scheint, dann lässt sich kaum rechtfertigen, ihr Verhalten als moralisch verwerflich oder als „Sünde“ einzuordnen. Denn es ist ja nicht ihre Wahl, sich anders zu verhalten.
„Die Wahrnehmung sexueller Vielfalt bedeutet keine Loslösung von der Bibel“, betonte dementsprechend auch Kirchenpräsident Jung. Das biblische Zeugnis fordere dazu heraus, „Menschen in ihrer Individualität wahrzunehmen und ihnen darin gerecht zu werden.“
Gesetze müssen überdacht werden
Das bedeutet unter Umständen auch, dass Gesetze überdacht werden müssen. Aktivistinnen und Aktivisten fordern etwa, dass der Anspruch auf Änderung des Personenstands (also etwa die Änderung des Geschlechts oder des Vornamens in Dokumenten) sowie auf medizinische Unterstützung wie Hormongaben oder geschlechtsangleichende Operationen nicht mehr von psychologischen Gutachten abhängig gemacht werden sollen, bei denen ein geschlechtrollenkonformes Verhalten geprüft wird. Eine Operation dürfe andererseits aber auch keine Vorbedingung mehr für eine Anerkennung als Mann oder als Frau sein. Zudem müssten Menschen auch das Recht haben, sich keinem der beiden Geschlechter zuzuordnen.
Aus christlicher Sicht bedeute eine Akzeptanz von sexueller Vielfalt dabei keineswegs, dass moralisch-ethisch betrachtet ein „anything goes“, „alles ist erlaubt“ herrscht, betonte Jung. Vielmehr gehe es darum, „aus dem biblischen Zeugnis heraus Maßstäbe für ein gerechtes Arrangement der Geschlechter und für verantwortlich gelebte Sexualität zu finden.“